causasportnews / Nr. 1079/11/2023, 12. November 2023

(causasportnews / red. / 12. November 2023) In einer aus den Fugen geratenen Welt erscheinen Olympische Spiele mit den bekannt hehren Ideen wie Anachronismen. Ziemlich aktuell: In etwa acht Monaten messen sich im Rahmen von Olympia über 10 000 Athletinnen und Athleten in 32 Sportarten in 41 Wettkampfstätten. Erstmals seit 1924 wird Paris Austragungsort des Grossanlasses sein. Die Welt schaut skeptisch und teils besorgt auf die Stadt an der Seine. Geht es um die Spiele, die zwischen dem 26. Juli und dem 11. August 2024 ausgetragen werden sollen, schaudert es die Sicherheits-Verantwortlichen. Standen 1924 bezüglich dieses Grossanlasses Logistikthemen im Vordergrund, sind es 100 Jahre später vor allem die in den Vordergrund gerückte Sicherheit, die im Rahmen einer derartigen Grossveranstaltung gewährleistet sein muss. Das beginnt bereits bei der Teilnahme der Wettkämpferinnen und Wettkämpfer, wenn sich Staatsangehörige Russlands, Weissrusslands, der Ukraine, Israels, der USA, Palästinas, Libanons, Irans, Syriens, Afghanistans, Somalias, des Südsudans, Serbiens, Kroatiens, Chinas, Nord- und Südkoreas, usw. in natürlich friedlichen und freudvollen Wettkämpfen messen. Vielleicht sind es nicht einmal nur die Athletinnen und Athleten, die sich vor Ort ins Gehege kommen (das gemeinsames Duschen aller Teilnehmenden nach den Wettkämpfen ist längst abgeschafft), aber eventuell werden die Fans, die im Sport in vielerlei Hinsicht zu «Problem-Fans» geworden sind, zum Sicherheits-Generalthema. Die Stadt der Liebe könnte zur Kapitale der Hiebe werden. Frankreich ist seit Jahren extrem «Attentats-gefährdet»; vor allem die jüdische Gemeinde fühlt sich bedroht. Religions- und andere Kämpfe finden in der heutigen Zeit durchwegs exterritorial statt: Zwar nicht in Paris, aber in Brüssel hat vor einigen Wochen ein Tunesier, ein Anhänger des «Islamischen Staates», am Rande eines Fussballspiels zwischen Belgien und Schweden zwei schwedische Fans erschossen. Solches könnte sich auch in Frankreich ereignen. Schlechte Erinnerungen an das Olympia-Attentat von München 1972 werden wach.
In acht Monaten kann viel geschehen, jedoch lässt sich der Schirmherr über die Spiele, das Internationale Olympische Komitee (IOK), mehrheitlich von Träumereien treiben und blendet die Realitäten gekonnt oder gezwungenermassen aus. Nur schon muss die «Causa Russland» mit Blick auf Olympia 2024 geregelt und gelöst werden, weil Frankreich und die Bürgermeisterin von Paris sich gegen die Teilnahme von Sportlerinnen und Sportlern aus Russland und Weissrussland ausgesprochen haben. Anne Hidalgo will in ihrer Stadt auch keine Teilnehmenden aus diesen Ländern unter neutraler Flagge dulden (ein bewährter Taschenspieler-Trick des IOK, um Unmögliches doch möglich zu machen). Irgendwann wird in den nächsten Monaten eine Entscheidung in der Russlandfrage fallen müssen, denn das opportunistische IOK ist tendenziell pro Russland und pro Weissrussland eingestellt. Bemerkenswert ist die Position Deutschlands in dieser sport-politisch brisanten Frage. Seit Kriegsausbruch im Februar 2022 waren Deutsche Sportpolitiker und Funktionäre strikte gegen eine Teilnahme Russischer Athletinnen und Athleten in Paris. Diese unverrückbare Haltung bekommt nun Risse, und Deutschland muss wohl auf einen Schmusekurz mit dem IOK, das von einem angepassten und beugsamen Deutschen (Thomas Bach) angeführt wird, einschwenken, sonst verbauen sich die Deutschen Sommermärchen-Anhänger die Chance, den Zuschlag für die Olympischen Spiele 2036 im eigenen Land zu bekommen. Wieder einmal bewahrheitet sich Bertold Brechts Feststellung: «Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral».
Die Olympischen Sommerspiele in Paris stehen also vor der Türe, und männiglich wäre wohl nicht unglücklich, es gäbe einen Knall, und das Kalenderblatt würde den 12. August 2024 anzeigen. Doch die weitsichtigen Franzosen schauen schon in die entferntere Zukunft und haben soeben verlauten lassen, im gallischen Raum 2030 Olympische Winterspiele organisieren zu wollen! Falls sich die Welt dann überhaupt noch (einigermassen vernünftig) dreht, dürfte das Thema «Sicherheit» auch dann zentrale Bedeutung erlangen. Schon längst vergessen ist selbstverständlich das Jahr 1992, als Olympische Spiele in Albertville ausgetragen wurden, in einem Jahr, als der Terminus «Nachhaltigkeit» weder bekannt war noch vielseitig verwendet wurde. Die Sportanlagen und Unterkünfte im Departement Savoyen sind längst nur noch Bauruinen. Doch in der Not frisst der Teufel Fliegen, so auch das IOK, dem die akzeptablen Austragungsstätten für Olympische Spiele wegbrechen. Deshalb werden für die Austragung der Winterspiele 2030 auch Salt Lake City, Stockholm und die Schweiz (!) genannt.
So schauen die Welt und die globale Sport-Gemeinde so gespannt wie unsicher in die Zukunft. Die zentrale Frage bleibt: Welche Wunschträume lassen sich in diesem universalen Chaos überhaupt (noch) realisieren?









