Schlagwort-Archive: IOC

Olympische Spiele – Wunschträume und Realitäten

causasportnews / Nr. 1079/11/2023, 12. November 2023

Photo by Anthony ud83dudcf7ud83dudcf9ud83dude42 on Pexels.com

(causasportnews / red. / 12. November 2023) In einer aus den Fugen geratenen Welt erscheinen Olympische Spiele mit den bekannt hehren Ideen wie Anachronismen. Ziemlich aktuell: In etwa acht Monaten messen sich im Rahmen von Olympia über 10 000 Athletinnen und Athleten in 32 Sportarten in 41 Wettkampfstätten. Erstmals seit 1924 wird Paris Austragungsort des Grossanlasses sein. Die Welt schaut skeptisch und teils besorgt auf die Stadt an der Seine. Geht es um die Spiele, die zwischen dem 26. Juli und dem 11. August 2024 ausgetragen werden sollen, schaudert es die Sicherheits-Verantwortlichen. Standen 1924 bezüglich dieses Grossanlasses Logistikthemen im Vordergrund, sind es 100 Jahre später vor allem die in den Vordergrund gerückte Sicherheit, die im Rahmen einer derartigen Grossveranstaltung gewährleistet sein muss. Das beginnt bereits bei der Teilnahme der Wettkämpferinnen und Wettkämpfer, wenn sich Staatsangehörige Russlands, Weissrusslands, der Ukraine, Israels, der USA, Palästinas, Libanons, Irans, Syriens, Afghanistans, Somalias, des Südsudans, Serbiens, Kroatiens, Chinas, Nord- und Südkoreas, usw. in natürlich friedlichen und freudvollen Wettkämpfen messen. Vielleicht sind es nicht einmal nur die Athletinnen und Athleten, die sich vor Ort ins Gehege kommen (das gemeinsames Duschen aller Teilnehmenden nach den Wettkämpfen ist längst abgeschafft), aber eventuell werden die Fans, die im Sport in vielerlei Hinsicht zu «Problem-Fans» geworden sind, zum Sicherheits-Generalthema. Die Stadt der Liebe könnte zur Kapitale der Hiebe werden. Frankreich ist seit Jahren extrem «Attentats-gefährdet»; vor allem die jüdische Gemeinde fühlt sich bedroht. Religions- und andere Kämpfe finden in der heutigen Zeit durchwegs exterritorial statt: Zwar nicht in Paris, aber in Brüssel hat vor einigen Wochen ein Tunesier, ein Anhänger des «Islamischen Staates», am Rande eines Fussballspiels zwischen Belgien und Schweden zwei schwedische Fans erschossen. Solches könnte sich auch in Frankreich ereignen. Schlechte Erinnerungen an das Olympia-Attentat von München 1972 werden wach.

In acht Monaten kann viel geschehen, jedoch lässt sich der Schirmherr über die Spiele, das Internationale Olympische Komitee (IOK), mehrheitlich von Träumereien treiben und blendet die Realitäten gekonnt oder gezwungenermassen aus. Nur schon muss die «Causa Russland» mit Blick auf Olympia 2024 geregelt und gelöst werden, weil Frankreich und die Bürgermeisterin von Paris sich gegen die Teilnahme von Sportlerinnen und Sportlern aus Russland und Weissrussland ausgesprochen haben. Anne Hidalgo will in ihrer Stadt auch keine Teilnehmenden aus diesen Ländern unter neutraler Flagge dulden (ein bewährter Taschenspieler-Trick des IOK, um Unmögliches doch möglich zu machen). Irgendwann wird in den nächsten Monaten eine Entscheidung in der Russlandfrage fallen müssen, denn das opportunistische IOK ist tendenziell pro Russland und pro Weissrussland eingestellt. Bemerkenswert ist die Position Deutschlands in dieser sport-politisch brisanten Frage. Seit Kriegsausbruch im Februar 2022 waren Deutsche Sportpolitiker und Funktionäre strikte gegen eine Teilnahme Russischer Athletinnen und Athleten in Paris. Diese unverrückbare Haltung bekommt nun Risse, und Deutschland muss wohl auf einen Schmusekurz mit dem IOK, das von einem angepassten und beugsamen Deutschen (Thomas Bach) angeführt wird, einschwenken, sonst verbauen sich die Deutschen Sommermärchen-Anhänger die Chance, den Zuschlag für die Olympischen Spiele 2036 im eigenen Land zu bekommen. Wieder einmal bewahrheitet sich Bertold Brechts Feststellung: «Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral».

Die Olympischen Sommerspiele in Paris stehen also vor der Türe, und männiglich wäre wohl nicht unglücklich, es gäbe einen Knall, und das Kalenderblatt würde den 12. August 2024 anzeigen. Doch die weitsichtigen Franzosen schauen schon in die entferntere Zukunft und haben soeben verlauten lassen, im gallischen Raum 2030 Olympische Winterspiele organisieren zu wollen! Falls sich die Welt dann überhaupt noch (einigermassen vernünftig) dreht, dürfte das Thema «Sicherheit» auch dann zentrale Bedeutung erlangen. Schon längst vergessen ist selbstverständlich das Jahr 1992, als Olympische Spiele in Albertville ausgetragen wurden, in einem Jahr, als der Terminus «Nachhaltigkeit» weder bekannt war noch vielseitig verwendet wurde. Die Sportanlagen und Unterkünfte im Departement Savoyen sind längst nur noch Bauruinen. Doch in der Not frisst der Teufel Fliegen, so auch das IOK, dem die akzeptablen Austragungsstätten für Olympische Spiele wegbrechen. Deshalb werden für die Austragung der Winterspiele 2030 auch Salt Lake City, Stockholm und die Schweiz (!) genannt.

So schauen die Welt und die globale Sport-Gemeinde so gespannt wie unsicher in die Zukunft. Die zentrale Frage bleibt: Welche Wunschträume lassen sich in diesem universalen Chaos überhaupt (noch) realisieren?

Asienspiele ohne Russland und Weissrussland

causasportnews / Nr. 1056/09/2023, 7. September 2023

Photo by Kharl Anthony Paica on Pexels.com

(causasportnews / red. / 7. September 2023) Es entspricht einer notorischen Tatsache, dass sich das Internationale Olympische Komitee (IOK) schwer tut, Sportlerinnen und Sportler aus den Kriegstreiber-Ländern Russland und Weissrussland vom internationalen Sport fernzuhalten. Insbesondere der IOK-Präsident Thomas Bach (Deutschland) gilt als wankelmütiger Opportunist in der Frage, wie in sportlicher Hinsicht mit den Schurkenstaaten Russland und dem Russland-Steigbügelhalter Weissrussland umzugehen sei. Die Meldung, welche vor ein paar Tagen verbreitet wurde, erregte deshalb Aufsehen: Die Asienspiele, die vom 23. September 2023 bis zum 8. Oktober 2023 in der Chinesischen Stadt Hangzhou stattfinden werden, erfolgen ohne russische und weissrussisch Beteiligungen! Zuvor hatte der Olympische Rat Asiens (OCA) noch entschieden, Athletinnen und Athleten beider Länder als neutrale Teilnehmer des Multisport-Events antreten zu lassen. Nun verlautete aus Lausanne, dem Sitz des IOK, dass die Sportlerinnen und Sportler der beiden Länder in China nicht teilnehmen könnten. Wahrscheinlich fürchtet das IOK als oberster Schirmherr der Spiele, Nachteile, etwa mit Blick auf Sponsoringerträge und der Werbeindustrie. Viele Unternehmen und Weltkonzern wollen sich bei grossen Sportanlässen nicht in irgendeinem Zusammenhang mit Russland und Weissrussland positionieren. Zudem ist China als Austragungsort von Sportveranstaltungen alles andere als unproblematisch. Die Teilnahme-Entwicklung und der Ausschluss des russischen und des weissrussischen Sportes mit Bezug auf die diesjährigen Asienspiele lassen erahnen, in welche Zwickmühle das IOK etwa mit Blick auf die Olympischen Sommerspiele im kommenden Jahr in Paris geraten könnte. Frankreich lehnt die Teilnahme russischer und weissrussischer Athletinnen und Athleten ab, das IOK gebärdet sich tendenziell wankelmütig und willfährig.

Nicht nur die ukrainische Propaganda befeuert die Bestrebungen mit Blick auf den Ausschluss Russlands und Weissrussland vom globalen Sport – aber auch. So sind Zahlen genannt worden, mit denen die Grausamkeit vor allem Russlands in diesem Krieg untermauert werden soll: Nicht zu erhärten ist selbstverständlich, wieviele Sportlerinnen und Sportler aus der Ukraine in dieser von den Russen angerichteten Tragödie bisher ums Leben gekommen sind. Im Frühjahr gab das Sportministerium der Ukraine bekannt, seit Beginn des Angriffskrieges seien 287 Sportlerinnen, Sportler und Trainer getötet worden. Viele von ihnen überlebten als Angehörige der ukrainischen Armee das Grauen nicht. Dass zudem gegen 350 Sportstätten in der Ukraine zerstört wurden, verschlimmert das Bild des Schreckens im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskriege noch mehr. Evident ist, dass diese Zahlen nicht dazu angetan sind, die Integration des russischen und des weissrussischen Sportes in den globalen Sport zu vereinfachen.

Ein Hauen und Stechen für einmal unter Box-Funktionären

causasportnews / Nr. 1051/08/2023, 23. August 2023

Photo by Pixabay on Pexels.com

(causasportnews / red. / 23. August 2023) Der Boxsport ist bekanntlich nichts für zartbesaitete Naturen. In den Ringen dieser Welt wird oft wirksam und nachhaltig zugeschlagen. Dass es in dieser Sparte neben dem sportlichen Geschehen auch unter Funktionären zu heftigen Kontroversen kommen kann, zeigt sich aktuell im Schweizerischen Boxverband (SwissBoxing). Grund für das Hauen und Stechen unter helvetischen Box-Sportfunktionären ist ursprünglich der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Zufälligerweise – oder auch nicht ganz zufällig – wird die International Boxing Association (IBA) mit Sitz in Lausanne (!) von einem Russen und Putin-Freund geführt und von ihm und weiteren Putin-Claqueuren beherrscht. Das Internationale Olympische Komitee (IOK) mit Sitz in…Lausanne (!) hat die IBA wegen des russischen Ukraine-Feldzuges suspendiert, was den Schweizerischen Verband (SwissBoxing, mit Sitz in Bern), bzw. den Verbandsrat dazu bewogen hat, den Austritt aus der IBA anzustreben. Die Delegiertenversammlung des Schweizerischen Verbandes hat nun aber dem Verbandsrat von SwissBoxing einen vereinsrechtlichen KO-Schlag versetzt und den Verbandsrats-Beschluss betreffend Austritt aus der IBA für nicht haltbar erklärt; ebenso wurde für die Weiterführung der Mitgliedschaft von SwissBoxing in der IBA votiert. Der Hintergrund dieser Entwicklung dürfte sein, dass der Weltverband vom IOK nicht weiter alimentiert wird, jedoch der Internationale Verband der Faustkämpfer dennoch im Geld zu schwimmen scheint. Offenbar macht es die Putin-freundliche Bank «Gazprom» möglich; «pecunia non olet» (Geld stinkt nicht), lautet das Motto also (auch) in der IBA – und bei allen, die von diesem Geldsegen profitieren möchten.

Das alles ist nun zuviel geworden für den langjährigen, als sehr gradlinig bekannten Schweizer Verbandspräsidenten Andreas Anderegg, der nach der Delegiertenversammlung von SwissBoxing und in Anbetracht des finalen Bekenntnisses der Schweizer Funktionäre gegenüber der russischen Machtelite in der IBA nicht als Sympathisant und mittelbarer Unterstützer der russischen Kriegsmaschinerie im Ring bleiben wollte. Der 66jährige Thurgauer, vor Jahren selber äusserst erfolgreicher Professional-Boxer und danach Medien-Schaffender, wollte mit seinem Rücktritt vom Amt, das er seit 2006 innehatte, ein «Zeichen» gegen den von den Russen angezettelten Wahnsinn setzen und vom durch Russland verursachten Elend nicht noch profitieren, wie er sagte. Der Respekt ist dem ehemaligen Faustkämpfer mit dieser konsequenten Haltung sicher, der sich über das Präsidentenamt im Schweizer Verband nicht mit der Russen-Clique in der IBA verbandeln wollte. Zusammen mit Andreas Anderegg traten aus demselben Grund weitere Spitzenfunktionäre des Schweizerischen Verbandes zurück, so etwa die nicht immer unbestrittene Box-Funktionärs-Legende Peter Stucki (dieser führte für den Verband z.B. vor bald 30 Jahren den damals Aufsehen erregenden Prozess gegen den Boxer Enrico Scacchia, der trotz gesundheitlicher Bedenken seitens der Lizenzbehörde gerichtlich eine Boxlizenz erstreiten wollte: Urteil des Appellationshofes Bern vom 18. April 1995, 774/III/94). Nur der guten Ordnung halber ist an dieser Stelle nachzutragen, dass das Präsidentenamt im Schweizer Verband nach dem überraschenden Rücktritt von Andreas Anderegg nicht lange verwaist blieb. Auf den Thurgauer folgte umgehend der ehemalige Amateur-Boxer Amir Orfia.

Caster Semenya bringt die Schweizer Justiz in die Bredouille

causasportnews / Nr. 1038/07/2023, 20. Juli 2023

Photo by Sora Shimazaki on Pexels.com

(causasportnews / red. / 20. Juli 2023) Der Fall der Leichtathletin Caster Semenya beschäftigt u.a. auch die (Sport-)Justiz seit Jahren. Die 32jährige Südafrikanerin ist sportlich herausragend, eine Frau, die biologisch ein Mann ist und über deren Testosteronwerte (Testosteron leitet sich ab aus den Worten «testis», Hoden, und «Steroid», Grundgerüst verschiedener Hormone) seit ihren Erfolgen, vor allem als Olympiasiegerin und Weltmeisterin über die Mittelstrecke (800 Meter), diskutiert wird. Mehr als zu Diskussionen veranlasst sieht sich der vom ehemaligen Briten Sebastian Coe präsidierte Leichtathletik-Dachverband World Athletics, der das Thema «Intersexualität» in der Leichtathletik regeln muss und dies auf verschiedene Weise versucht hat. So hat der Verband Testosteron-Regeln erlassen, nach denen Caster Semenya ihr Testosteron-Niveau hätte senken müssen, um weiter bei den Frauen starten zu können. Die Thematik ist eingestandenermassen derart, dass eine diesbezügliche Verbandsregelung nur falsch sein konnte; eine ungemütliche Situation also für den Weltverband. Gegen die Testosteron-Regelung 2018 klagte die Südafrikanerin am Internationalen Sportschiedsgericht TAS (Tribunal Arbitral du Sport) in Lausanne. Das Gericht, dafür bekannt, dass bei Klagen von Athletinnen und Athleten beklagte Verbände selten ins Unrecht versetzt werden, betrachtete die World Athletics-Regelung zwar als diskriminierend, sie sei jedoch im Interesse der Chancengleichheit unter den Athletinnen und Athleten gerechtfertigt. Caster Semenya gelangte an das Schweizerische Bundesgericht (vgl. causasportnews vom 4. Juni 2019), welches den Entscheid des TAS erwartungsgemäss bestätigte. Wenn immer irgendwie möglich, schützt das Bundesgericht die Verbände und hält u.a. konsequent an der Irrmeinung fest, das TAS sei, wie ein ordentliches staatliches Gericht, als unabhängig zu qualifizieren. Die Athletin rügte im bundesgerichtlichen Verfahren bezüglich der Verbandsregelung u.a. vergeblich verschiedene Verstösse gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bei der Beurteilung der Verbands-Testosteronordnung durch das TAS.

Caster Semenya zog ihren Fall nach der Niederlage am Schweizerischen Bundesgericht an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der nun kürzlich die Schweiz ins Unrecht versetzte. So wurde etwa erkannt, dass es in der Schweiz keinen ausreichenden Rechtsbehelf geben würde, mit welchem gravierende Verletzungen der EMRK gerügt und überprüft werden könnten; die Feststellung, die Athletin sei von den Schweizerischen Gerichten unzureichend angehört worden, bedeutet einen sport-juristischen Knalleffekt, der nichts anderes besagt, als dass der Instanzenzug in der Schweiz mit Blick auf die Überprüfungsmöglichkeiten (konkret der EMRK-Garantien) durch helvetische Gerichte ungenügend und mangelhaft sei. Die Schweiz also eine «Bananenrepublik» in punkto Justiz also, wie es der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger im Zuge der Fussball-Verfahren in der Schweiz immer wieder zu sagen pflegte (vgl. etwa causasportnews vom 12. Juni 2022)? Nicht ganz so schlimm, aber doch mehr als ein bemerkenswerter Fingerzeig aus Strassburg, der die Schweiz in die juristische Bredouille bringt. Es verwundert allerdings nicht, dass dieser Schock-Entscheid in der Schweiz vor allem medial unter dem Deckel gehalten wurde und wird. Das Strassburger Gericht konnte das Urteil des Schweizer Bundesgerichts zwar nicht ändern, jedoch die Schweiz wegen des ungenügenden Rechtsbehelfssystems rügen. Es ist mehr als peinlich für die Schweiz, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Land, das auf sein Rechts(behelfs)system besonders stolz ist, derart rügt, ins Unrecht versetzt und gravierende Lücken in dieser Rechtsordnung geisselt.

Die Schweiz wird versuchen, die der Leichtathletin verwehrten EMRK-Rechtsschutzgarantien als Einzelfall abzutun. Es ist jedoch nicht auszuschliessen, dass künftig weitere Sportler/innen Caster Semenya nachahmen werden und die Schweiz ein echtes Rechtsschutzproblem, vor allem im internationalen Kontext, bekommen wird.

Der Fall manifestiert ein grundlegendes Problem im Schweizerischen Rechtswesen: Zwar ist es nicht zu beanstanden, dass der Rechtsprechungs-Instanzenweg bis zum Bundesgericht immer steiniger wird. Die Überprüfungsbefugnisse der Instanzen nach oben werden immer enger, oder man könnte bilanzieren: Je höher die juristische Instanz, desto dünner die Luft für Rechtssuchende. Wer nicht schon in unteren Gerichtsinstanzen die Weichen auf Sieg stellen kann, wird im Rahmen der Instanzenzüge regelmässig abgewatscht, und letztlich wimmelt auch das Bundesgericht Rechtssuchende nach Möglichkeit oft mit allerlei Formalien ab. Vor allem die Rechtsprechung des obersten Schweizer Gerichts bezüglich zu überprüfender TAS-Entscheide ist durchwegs befremdlich bis krude. Aufgrund beschränkter Kognitionen (Überprüfungsbefugnisse) gelingt es dem Bundesgericht immer wieder, nach TAS-Urteilen vor allem Sportverbände und das Internationale Olympische Komitee (IOK) bei Beschwerden von Sportlerinnen und Sportlern juristisch schadlos zu halten. Insbesondere der Umstand, dass die TAS-Schiedsgerichtsbarkeit von den monopolistischen Sportverbänden dem organisierten Sport in mehr als unanständiger Art und Weise aufgenötigt wird, perlt an den Richterinnen und Richter im «Mon-Repos» in Lausanne konstant ab.

Mit Blick auf Olympia 2024: Eruptionen im globalen Sport?

causasportnews / Nr. 1029/06/2023, 22. Juni 2023

Photo by Mathias Reding on Pexels.com

(causasportnews / red. / 22. Juni 2023) Kaum jemand glaubt derzeit daran, dass der Krieg, den Russland gegen die Ukraine direkt und mittelbar gegen die Welt angezettelt hat, in absehbarer Zeit beendet werden könnte. Diese Einschätzung entspricht der allgemeinen, aktuellen politischen und militärischen Lagebeurteilung und den Erfahrungen, welche aus der Weltgeschichte, einer eigentlichen Unfallchronik der Menschheit, gezogen werden muss. So heterogen, wie weltweit die Reaktionen der Politik auf die krass völkerrechtswidrige Aggression Russlands sind, so labil und inkonsequent reagiert der globale Sport gegenüber dieser russischen Barbarei und gegenüber den Steigbügelhaltern und Sympathisanten der verbrecherischen Taten, die fortlaufend und weiterhin begangen werden.

Fairness, Frieden, und gegenseitiger Respekt sind die Maximen, welche die Basis des Sportes bilden. Diese Prinzipien, welche die Teilnehmer am Sportgeschehen auch ausserhalb des Sportes hochhalten sollen, werden von Russland sowie vom russischen Volk und somit auch von den Sportlerinnen und Sportlern dieses Landes mit Füssen getreten. Die völkerverbindende Kraft des Sportes ist wie die Völkerrechtslage mit Blick auf die Schandtaten Russlands gegenüber der Ukraine regelrecht zum traurigen Scherz verkommen. Die Weltpolitik fragt sich seit dem 24. Februar 2022, wie sie sich gegenüber Russland und allen Missetätern dieser beispiellosen Aggression verhalten soll, um dem Genozid und der Zerstörung der Ukraine Einhalt zu gebieten. Eine konsequente Line fehlt in der Politik ebenso wie im Sport. Dieser fragt sich seit dem Beginn dieser verbrecherischen Handlung, wie man sich gegenüber Russland und den russischen Athletinnen und Athleten verhalten soll. Zu Beginn des Krieges stemmte sich der Sport ziemlich geeint gegen Russland und seine Vertreterinnen und Vertretern; jetzt, nach eineinhalb Jahren Krieg, bröckelt die Einheit. Erschwerend kommt in dieser Situation dazu, dass den Russen das Verhalten der Sportwelt ihnen gegenüber relativ gleichgültig ist. Sie agieren im Sport so unberührt und verantwortungslos wie im Krieg, den sie in Verletzung des «ius ad bellum» (das Recht zum Krieg; die Verletzung des «ius in bello», das Recht im Krieg, ist sowieso reine Theorie geworden) und weiterer internationalen Kodifikationen führen. Als fatal erweist sich der Umstand, dass russische Funktionäre den globalen Sport nach wie vor gleichsam mitprägen und nicht nur etwa in den Disziplinen Boxen und Schach regelrecht beherrschen und beeinflussen.

Zwar ist ein Jahr, vor allem im Krieg, eine lange Zeitperiode. Doch im organisierten Sport präsentiert sich die Lage mit Blick auf die in etwas mehr als einem Jahr beginnenden Olympischen Sommerspiele vom 26. Juli bis zum 11. August 2024 als delikat. Was wird in Paris geschehen? Wie wird mit Russland und den russischen Athletinnen und Athleten umzugehen sein, wenn der Krieg bis dann, wenn kein Wunder geschieht, andauert? Russland (und auch Weissrussland und allenfalls weitere Länder) ausschliessen und den Sportlerinnen und Sportlern einen neutralen Status verleihen – ein Taschenspielertrick, den das Internationale Olympische Komitee (IOK) immer wieder anwendet, wenn es sich vor davor drückt, Flagge zu zeigen und das Heil im sport-politischen Opportunismus sucht? Wie das Gezerre und Gezänke mit Blick auf die Teilnahme Russlands in Paris 2024 ausgehen wird, ist derzeit nicht abzusehen. Russland nimmt rücksichtlos auch eine Spaltung des globalen Sportes und ein entsprechendes Chaos in Kauf. Das auf Gewinnmaximierung getrimmte IOK, primär dem Mammon und weniger der (Sport-)Ethik verpflichtet, versucht, es allen Protagonisten im Weltsport Recht zu machen und sich dabei in keiner Weise zu exponieren. Aber es arbeitet derzeit auf die Wiederzulassung der Russinnen und Russen im Sport hin. Wie sich der Sport gegenüber Russland letztlich positionieren wird, ist jedenfalls für die russische Propaganda irrelevant. Zwar zeigt sich Frankreich im Moment noch entschlossen, im kommenden Jahr keine Russinnen und Russen an der Seine antreten zu lassen. Es würde allerdings nicht überraschend, wenn das opportunistische IOK mit einem noch opportunistischeren Präsidenten an der Spitze Paris derart unter Druck setzen und Frankreich nötigen würde, Russen, in neutraler Camouflage natürlich, an den Wettkämpfen teilnehmen zu lassen.- On verra, würde der Franzose, wohl bald leicht resignierend, wohl sagen. Doch das würde im globalen Sport zu gewaltigen Eruption mit entsprechenden Folgen führen.

Von Betrogenen, Fast-Betrogenen, Bevorzugten und Rehabilitierten

causasportnews, Nr. 1009/04/2023, 23. April 2023

CAS Hearing Room, photo cy CAS

(causasportnews / red. / 23. April 2023) Wir leben auf dem Planeten der zu kurz Gekommenen, der Diskriminierten und Benachteiligten. Nicht ganz so krass, jedoch ähnlich, verhält es sich insbesondere im Sport. Wobei in dieser Sparte im extremsten Fall von Bevorzugten die Rede ist, die den Betrogenen Platz machen mussten.

Zumindest temporär betrogen wurde die Schweizer Ski-Crosserin Fanny Smith, die an den Olympischen Spielen 2022 in Peking wegen Behinderung ihrer Deutschen Konkurrentin Daniela Maier disqualifiziert und auf den (undankbaren) 4. Schlussrang versetzt wurde. Die Deutsche Athletin erhielt die Bronzemedaille, die Schweizerin musste mit der sog. «ledernen» Auszeichnung Vorlieb nehmen. Schon vor der Medaillenvergabe in Peking regte sich Widerstand, und es wurde die Diskussion hierüber entfacht, ob Fanny Smith Daniela Maier wirklich behindert hatte oder eben nicht. Hatte sie offenbar nicht, wie nun das Internationale Olympische Komitee (IOK) bekannt gab. Bekannt gab oder entschied? Die Sportfunktionäre haben es zwischenzeitlich geschafft, Sportresultate mediativ-freundschaftlich festzulegen oder festlegen zu lassen. Der Betrug an Fanny Smith bezüglich der wegen (k)einer Behinderung vorenthaltenden Auszeichnung für den dritten Platz bewog vor allem den von verschiedener Seite wegen der «Causa Smith/Maier» unter Druck geratenen Internationalen Skiverband (FIS), die verzwickte Situation irgendwie zu einem guten Ende zu bringen, ohne die Deutsche auf den vierten Platz zu setzen. Doch für was hat denn die Sport-Familie das Sport-Schiedsgericht TAS (Tribunal Arbitral du Sport), das, wie Beispiel zeigt, auch vermittelnd in Erscheinung treten kann. So kam es, dass das TAS eine salomonische Lösung in der delikaten Angelegenheit vorgab: Sowohl Daniela Maier als auch Fanny Smith sind nun offiziell Bronze-Medaillen-Gewinnerinnen von Peking 2022. Dieses Schlichtungsergebnis unter der Ägide des TAS macht Mut: Endlich herrscht Klarheit darüber, dass auch Sportresultate verhandelbar sind, dies dem Unkenruf zum Trotz, dass auf dem Sportplatz erzielte Resultate das Abbild der realen Fakten seien – oder sein sollen. Aus Betrogenen können Fast-Betrogene und letztlich Rehabilitierte werden. Das IOK, welche die Bronze-Medaille-Übergabe an Fanny Smith kürzlich geradezu zelebrierte, wird sagen: Am Resultat von Peking ändert sich nichts, nur die Schlüsse daraus lassen Betrogene zu Rehabilitierten und Bevorzugte zu Mit-Gewinnern machen. Das muss auch so sein, denn nichts ist tragischer für den Sport als der Umstand, wenn das Publikum nach Beendigung eines Wettkampfes (während hier mehr als einem Jahr) nicht weiss, wie sich nun die Rangierung eines Wettkampfs präsentiert. Der «Fall Fanny Smith», bei dem es letztlich um individualisierte Gerechtigkeit nach dem kollektiven Betrug an der Schweizerin ohne Nachteil für die Deutsche ging, wurde denn auch auf kleinem Feuer gekocht. Das Publikum nahm die Medaillen-Zusatz-Vergabe nach mehr als einem Jahr nach Peking 2022 gar nicht mehr war. Das alles hatte auf den Medaillenspiegel der Olympischen Spiele in der Chinesischen Metropole keinen Einfluss. Österreich bleibt in der Gesamtwertung vor der Schweiz. Eine win-win-Situation für alle also.

Der Sport ist bekanntlich eine Plattform für Menschen, die sich irgendwie in Szene zu setzen wissen; nicht immer sind es sportliche Leistungen. Treten sie von der Sportbühne ab, sind Mittel und Wege gefragt, wie man sich wieder in das Scheinwerferlicht dieser Bühne begeben kann. Zum Beispiel der ehemalige Formel 1-Strippenzieher Bernard Charles Ecclestone, der den Rennzirkus über Jahrzehnte erfolgreich und clever, wie ein Dompteur, zu dirigieren wusste. Seit der nun bald 93jährige, ehemalige Gebrauchtwagenhändler von den neuen Eigner der höchsten Motorsport-Klasse, «Liberty Media», vor wenigen Jahren in den Ruhestand versetzt worden ist, hat auch der von der ganzen Welt liebevoll genannte «Bernie» erfahren, dass der Stellenwert eines Menschen in der Gesellschaft massiv sinkt, wenn er in dieser keine Bedeutung mehr hat. In einer solchen Situation muss der gealterte, ins gesellschaftliche Abseits gestellte Mensch sich anderweitig ins Szene setzen. Zum Beispiel mit einem aufgedeckten Betrugs-Skandal. Auf diese Weise ist es Bernie Ecclestone dank Schwatzhaftigkeit nun gelungen, wieder ins mediale Licht einzutauchen, wenn auch nicht wahnsinnig erfolgreich. Der Vorgang, den der mit allen Wassern gewaschene Brite publik gemacht hat, liegt auch schon lange zurück, nämlich beinahe 15 Jahre. Es war der 2. November 2008, als Felipe Massa im Ferrari den WM-Titel in der letzten Runde seines Heim-Grand-Prix an den rundherum bevorzugten Briten Lewis Hamilton verlor. Der WM-Titel des bescheidenen, wenig Glamour versprühenden Felipe Massa wurde diesem offenbar gestohlen, nachdem es in jener Formel 1-Saison zu Absprachen, Tricksereien und Betrügereien gekommen sei, so der ehemalige Dompteur des Motorsport-Zirkus’. Man habe unter den Mächtigen der Disziplin Stillschweigen vereinbart – um den Sport zu schützen. Das alles nützt dem Betrogenen, dem heute 42jährigen Brasilianer, nicht mehr viel. Aber vielleicht hilft das TAS, das, kein Scherz, nun vom Betroffenen (Betrogenen) zwecks Rehabilitierung angerufen werden soll. Weshalb nicht unter der Aufsicht der Sport-Schiedsrichter in Lausanne und mit dem Segen des IOK die Vergabe eines zweiten Formel 1-WM-Titels für 2008? Die Krux an der Geschichte: Formel 1 ist immer noch keine Olympische Disziplin, auch wenn Felipe Massa an sich schon rehabilitiert werden sollte. Aber das müsste doch schon irgendwie hinzubiegen sein.

Königliches Spiel ohne den König: Magnus Carlsen räumt den Thron

causasportnews, Nr. 1005/04/2023, 10. April 2023

Photo by Pixabay on Pexels.com

(causasportnews / red. / 10. April 2023) Das war alles kein Zufall, sondern eiskaltes Kalkül. Kurz, nachdem das Internationale Olympische Komitee (IOK) den internationalen Sportverbänden die Entscheidung überlassen hat, ob russische Sportlerinnen und Sportler als «neutrale» Aktive in den jeweiligen Sportarten zuzulassen seien (causasportnews vom 2. April 2023) hat sich im Schach das ereignet, was so oder so nicht mehr abzuwenden war, nachdem diese «heisse Kartoffel» vom Lausanner Olymp den Verbänden weitergereicht wurde: In der nun bis zum 1. Mai 2023 dauernden Schach-WM wird sich wohl ein Russe die Krone im königlichen Spiel auf den 64 Feldern aufsetzen – und so den Kriegstreibern im Kreml nach über einem Jahr des Mordens und Zerstörens in der Ukraine eine mehr als willkommene Propaganda-Plattform gewähren. Denn es ist voraussehbar, dass der Russe Jan Nepomnjaschtschi den Titel von Magnus Carlsen, der auf die Titelverteidigung verzichtet, erben wird. In Astana (Kasachstan) misst sich der 33jährige Russe mit dem 30jährigen Chinesen Ding Liren, den man in der Boxersprache vielleicht sogar als «Fallobst» bezeichnen würde; in maximal 14 Partien soll der neue Schach-Champion ermittelt werden. Es wären die Folgen (fast) nicht auszumalen, wenn Jan Nepomnjaschtschi dem Chinesen unterliegen würde. Der Russe macht aus seiner Sympathie für das russische Regime kein Geheimnis, und hinter dem Krieg Russlands steht er mit der Mehrheit seiner Landsleute, auch wenn er sich in einem offenen Brief schon einmal gegen den Krieg ausgesprochen hat. Das nennt das IOK sport-politische Neutralität. Der Anwärter auf den WM-Titel bedauert, dass er in Astana gleichsam als «Neutraler» antreten muss; konkret heisst das unter der Flagge des Schach-Weltverbandes. «Leider kann ich nicht unter der russischen Flagge spielen», lässt sich der haushohe Favorit auf den WM-Titel in den Medien zitieren. Das zum Thema «Neutralität» von Aktiven aus Russland. Dass das alles in der Sportart «Schach» geschieht, ist allerdings kein Wunder. Diese Sportart ist in Russland etwa so beliebt wie das Rodeln oder der Biathlonsport in Deutschland, das Schwingen in der Schweiz oder das Skifahren oder der Fussball in Österreich. Von Russland durchsetzt ist auch der Internationale Schachverband (FIDE, mit Sitz in Lausanne), in dem, wen wundert’s, ein Russe sogar als Präsident amtet! Die allgemein wirksame Öffnungsanordnung des IOK für russische Sportlerinnen und Sportler dürfte Russland als Geschenk des Himmels erscheinen. Diese Durchsetzung des internationalen Schach-Sports durch Russland und der Umstand, dass nun ein Russe wohl das bevorstehende WM-Schach-Duell gewinnen wird, bedeutet gleichzeitig die Kapitulation des Weltsports vor den hehren Werten des Sportes im Allgemeinen. Diese Sportart wird nun wohl als Missbrauchsdisziplin für die Kriegstreiber-Nation Russland in die Sport-Geschichte eingehen und erinnern zumindest im Ansatz etwa an die Propaganda-Spiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen und in Berlin. Das alles hat aktuell mit dem Umstand zu tun, dass der beste Schachspieler der Welt, der Norweger Magnus Carlsen, keine Lust mehr verspürt, den Titel erneut zu verteidigen. Wäre es anders, würde Jan Nepomnjaschtschi die Schach-Arena nun in Astana, wie schon vor zwei Jahren in Dubai, mit grosser Wahrscheinlichkeit als Verlierer verlassen (causasportnews vom 14. Dezember 2021). Das königliche Spiel findet demnach ohne den unbestrittenen König in dieser Disziplin statt. Doch was soll’s: Ein Titel ist ein Titel – und die Abwesenden haben immer Unrecht… Alles spielt Russland in die Hände. Sollte dennoch, was eine Weltsensation wäre, der Chinese obenaus schwingen, würde immerhin ein Angehöriger aus China, dem Lande der Russen-Freunde, reüssieren.

Der «Sündenfall» des IOK vor der russischen Aggression ist im Moment aber (noch) nicht vollständig bis zu allen internationalen Sportverbänden durchgedrungen. So hat der Internationale Pferdesportverband (FEI, mit Sitz in Lausanne), trotz der IOK-Empfehlung soeben entschieden, Aktive aus Russland und Weissrussland weiterhin vom internationalen Sport auszuschliessen. Dem Verband ist es nicht möglich, die Neutralität dieser Sportlerinnen und Sportler mit Blick auf die Aggression Russlands begrifflich und thematisch zufriedenstellend zu realisieren. Wie sich Russinnen und Russen sowie Weissrussinnen und Weissrussen, die kraft ihrer Staatsbürgerschaften Staatsangehörige einer kriegsführenden Nation (Russland) neutral auf den Sportarenen dieser Welt sollen bewegen können, bleibt für die FEI schlicht ein Rätsel, wie aus der FEI-Zentrale in Lausanne verlautete. Dem ist an sich nichts beizufügen.

Was nach dem IOK-Opportunismus zu Gunsten Russlands noch alles auf die Sportwelt kommen soll, bildet ein Mysterium dieser Chaos-Zeit, vor der eben der internationale Sport nicht gefeit ist.

Die Folgen des IOK-Schmusekurses gegenüber Russland auf den Sport

causasportnews, Nr. 1003/04/2023, 2. April 2023

Photo by Pixabay on Pexels.com

(causasportnews / red. / 2. April 2023) Nach über einem Jahr Krieg ist es nachvollziehbar, dass das Interesse an den Folgen der russischen Aggression gegenüber der Ukraine erlahmt und sich die Welt – horribile est dictu – sogar an diesen Zustand gewöhnt hat. Die Schlagzeilen zum brutalen, völkerrechtswidrigen Überfall eines Landes auf ein anderes Land sind spärlicher geworden und in den Hintergrund gerückt. Man mag die Schreckensmeldungen aus den umkämpften Regionen der Ukraine schon gar nicht mehr hören, die schrecklichen Bilder des Mordens und Zerstörens nicht mehr sehen! Diese Umstände hat das Internationale Olympische Komitee (IOK) genutzt, um weltweit so etwas wie sportliche Normalisierung einzuläuten; die Empfehlung des Schweizerischen Vereins mit Sitz in Lausanne gegenüber dem internationalen Sport, russische und weissrussische Athletinnen und Athleten am globalen Wettkampfgeschehen wieder teilnehmen zu lassen (soweit diese überhaupt ausgeschlossen waren oder sind), hat die generelle Front gegen den russischen Kriegstreiber-Staat aufgeweicht und die jede konsequente Linie zum Ausschluss Russlands aus dem internationalen Sportgeschehen zunichte gemacht. Das kommt nicht von ungefähr, befindet sich doch etwa der IOK-Präsident, der Deutsche ehemalige Fecht-Olympiasieger und -Weltmeister Thomas Bach, seit seinem Amtsantritt als höchster Sportfunktionär vor bald zehn Jahren, regelmässig auf Schmusekurs mit dem Russischen Präsidenten und seinen Vasallen im Kreml. Die Rolle des höchsten Olympioniken war mit Blick auf die Olympischen Spiele in Sotschi (2014) undurchsichtig; ebenso der milde Umgang des IOK unter Führung des ehemaligen Fechters nach dem Eklat im Zuge des russischen Staatsdopings nach Sotschi. Wahrscheinlich ist in diesen bald zehn Jahren der «Ära Thomas Bach» im IOK soviel (und wohl zuviel) geschehen, als dass der Deutsche nun plötzlich von seiner pro-russischen Linie abweichen würde und könnte (vgl. auch causasportnews vom 30. März 2023). Immer wieder wird kolportiert, dass etwa (auch) die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Thomas Bach und Russland zumindest bestehen sollen. Dieser Grundzustand wird sich wohl bis zum Abgang des amtierenden IOK-Präsidenten in etwas mehr als zwei Jahren nicht ändern. Dass das IOK derzeit alles daran setzt, um den Sport trotz der Kriegstreiberei Russlands zu «normalisieren», hängt insbesondere mit den Olympischen Spielen, die im kommenden Jahr in Paris stattfinden sollen, zusammen. Die Spiele sind die «cash cow» des IOK («cash cow with cash flow»), und es soll natürlich alles vermieden werden, um die Wettkämpfe an der Seine mit den dunklen Flecken des Krieges zu bekleckern. So hat das IOK schon einmal angedacht, die Ukraine zu sanktionieren, falls Sportlerinnen und Sportler aus dem vom Krieg malträtierten Land bei einer Teilnahme von russischen Athletinnen und Athleten in Paris boykottieren würden!

Trotz aller Kritik an der Öffnung des IOK und die eingeläutete internationale Lockerung gegenüber Russland und Weissrussland wird sich der organisierte Welt-Sport immer mehr für Russen und Weissrussen öffnen, ungeachtet des Umstandes, dass die Machthaber in Moskau und in Minsk derzeit intensiver und unverhohlen die Atomkeule schwingen; auch der Umstand, dass die Mehrheit der Russinnen und Russen den Krieg befürwortet, spielt für das IOK keine Rolle, wenn die Aktiven aus diesem Land «neutral» antreten und dem Krieg widersagen. Wenn selbst die sonst sehr eigenständigen Wimbledon-Organisatoren vor der IOK-«Empfehlung» bezüglich Sportlerinnen und Sportlern aus den genannten Ländern kapitulieren, wird der russische Sport allgemein bald wieder flächendeckend salonfähig werden. Löblich, aber wohl ohne Folge, dürfte etwa die Verlautbarung des Schweizerischen Sport-Dachverbandes «Swiss Olympic» sein, der trotz der IOK-Öffnungs-Empfehlung für Aktive aus Russland und aus dem Satellitenstaat Weissrussland an der gegenteiligen Meinung festhält und die IOK-Position nicht unterstützt. Ignoriert hat das IOK auch die Forderung von «Swiss Olympic», dass Funktionärinnen und Funktionäre aus den beiden Ländern nicht in Gremien internationaler Sport-Verbände und -Organisationen (wie dem IOK) sitzen dürfen. Vor allem die über 100 Mitglieder des IOK würde diese Forderung hart treffen, denn Mitglieder des Vereins «IOK» sind einzig natürliche Personen, und auch im IOK sind selbstverständlich Russen vertreten. Bereits einmal hat die Schweizerische Sport-Ministerin Viola Amherd vom IOK in dieser Sache konsequente(re)s Handeln verlangt (causasportnews vom 24. April 2022). Auf einen entsprechenden Brief der Bundesrätin im vergangenen Jahr hat das IOK nicht einmal geantwortet…

Nach dem Banken- das Sport-Chaos

causasportnews, Nr. 1002/03/2023, 30. März 2023

Photo by Anthony : ) on Pexels.com

(causasportnews / red. / 30. März 2023) Noch sitzt der Schock nach dem Desaster um die Schweizer Grossbank «Credit Suisse» vor rund zehn Tagen tief, und allmählich wird klar, dass der Kollaps des ehemals renommierten Geldhauses eine regelrechte Bankenkrise ausgelöst hat. Die Schweizer können offenbar nicht mehr «Banking», und die Hilflosigkeit, die den Finanzplatz Schweiz erfasst hat und offenkundig flächendeckend prägt, hat mit der Revitalisierung des ehemaligen UBS-Managers Sergio Ermotti, der nun nach der (vom Staat erzwungenen) Übernahme der «Credit Suisse» durch die UBS diese Bank, die vor 15 Jahren selber «pleite» war, leiten soll, den Gipfel der Hilflosigkeit in dieser Branche erreicht. Chaos pur also im «Banking».

Chaos pur aber auch im organisierten Sport, nachdem das Internationale Olympische Komitee (IOK) in Lausanne soeben entschieden hat, allen Sportverbänden zu empfehlen, Sportlerinnen und Sportler aus Russland und Weissrussland wieder an internationalen Wettbewerben zuzulassen. Die heuchlerische Begründung: Die Aktiven, welche zwar den Kriegstreiber-Nationen angehören, könnten schliesslich für das Geschehen nichts. Vor genau einem Jahr ist das Altfrauen- und Altherren-Gremium in der Westschweiz dafür eingetreten, Athletinnen und Athleten der beiden Schurken-Staaten nicht mehr am organisierten, globalen Sport teilnehmen zu lassen. Die damals vorgegebene, relativ stringente Linie hat in den letzten Monaten immer mehr Wirrungen und Irrungen erfahren. Der Verein IOK mit dem Deutschen Präsidenten Thomas Bach an der Spitze, der nicht gerade als Russen-Feind bekannt ist und dem persönliche Interessen bezüglich Russland nachgesagt werden, beugt sich jetzt den Gegebenheiten und den Sachzwängen nach über einem Jahr Ukraine-Krieg und verschreibt sich der beliebtesten, nicht-sportlichen Disziplin im Rahmen des Komitees und des organisierten Weltsportes, nämlich dem Sport-Opportunismus. Dabei prävaliert das Motto: Kommerz über alles, organisiert von Funktionären, meist mit Eigeninteressen, ohne «Cojones» (Eier), wie es vor allem auf den Sportplätzen jeweils so schön heisst (das gilt versinnbildlicht selbstverständlich auch für die Sport-Funktionärinnen aus aller Welt, welche ebenfalls im internationalen Sport mitmischen).

Das IOK wäre allerdings nicht das IOK, wenn die Verantwortung für die realen Entscheide nun nicht an die internationalen Sportfachverbände delegiert würde. Das IOK bestimmt, ausbaden müssen das Problem bezüglich der Zulassung russischer und weissrussischer Athletinnen und Athleten ab sofort die Fachverbände, von denen es, auch in den obersten Chargen, von Russinnen und Russen wimmelt. Die internationalen Fachverbände im Boxen und im Schach werden sogar von dubiosen Russen und sog. «Freunden» des Haupt-Kriegstreibers im Kreml präsidiert! Die «heisse Kartoffel» bezüglich der Entscheidungen mit Blick auf die Zulassungen von Aktiven aus den beiden Ländern an die Fachverbände weiterzureichen, ist also ein geschickter Schachzug des IOK, um sich von Verantwortung und Konsequenzen zu entlasten – oder sich davor zu drücken. Im Moment noch gradlinig zeigt sich der Präsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF), Sebastian Coe, der erklärt hat, sich in der global einzuordnenden bedeutungsvollen Leichtathletik dafür einsetzen zu wollen, dass auch künftig im internationalen Sport russische und weissrussische Aktive ausgeschlossen werden und bleiben. Bis zu den Olympischen Spielen im kommenden Jahr in Paris wird noch einiges an Wasser die «Seine» herunterfliessen. Vor kurzer Zeit haben die Fechter, wen wundert’s, entschieden, dass Vertreterinnen und Vertreter der beiden Kriegstreibers-Staaten im internationalen Sport wieder mittun dürfen. Es ist selbstverständlich nur Zufall, dass der IOK-Präsident einmal selber Olympiasieger und Weltmeister im Fechten war…

Der Entscheid des IOK ist bei Menschen, die guten Willens sind und sich auch noch den wichtigsten, ethischen Grundsätzen verpflichtet fühlen, schlecht angekommen und hat teils eine Schockwirkung gezeitigt. Aus der Ukraine sind zwischenzeitlich Boykott-Bekräftigungen bekannt geworden. Dafür sollte die organisierte Sportwelt an sich Verständnis haben. Sollen sich ernsthaft Sportlerinnen und Sportler der drei Länder auf dem Sportfeld messen, bei den Siegerehrungen auf dem selben Podest stehen und sich am Schluss gemeinsam brüderlich und schwesterlich unter die Duschen stellen?

«Ninja Warrior» statt Springreiten im Modernen Fünfkampf

Photo by Konstantin Mishchenko on Pexels.com

(causasportnews / red. / 16. November 2022) Nach dem Skandalritt der Deutschen Annika Schleu anlässlich der Olympischen Spiele 2021 in Tokio war es klar, dass die Disziplin Springreiten im Modernen Fünfkampf nicht mehr zu halten war. Die Horror-Bilder aus der japanischen Metropole, die festhielten, wie die 32jährige Sportlerin, angeheizt durch eine ebenfalls von der Rolle geratenen Bundestrainerin, Kim Raisner, mit der wehrlosen Kreatur Pferd umging und brutal Gerte und Sporen einsetzte, bildeten die Sargnägel für diese Pferdesport-Disziplin im Rahmen des Modernen Fünfkampfes. Lange wurde darüber diskutiert, wie und durch was das unhaltbar gewordene Springreiten ersetzt werden könnte; von Radfahren war die Rede, aber auch von allen möglichen und unmöglichen Event-Sportarten (vgl. etwa auch causasportnews vom 7. November 2021 und vom 14. Januar 2022). Jetzt folgte die auf den ersten Blick überraschende Ankündigung: Nach den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris wird das Springreiten durch die Game-Sportart «Ninja Warrior» ersetzt. Diese körperlich anspruchsvolle Show-Variante japanischer Provenienz garantiert vor allem eine gute Medienpräsenz. Dass nun diese Game-Show, bei der es gilt, einen trickreichen Hindernisparcours gekonnt und rasch zu überwinden, berücksichtigt wird, hängt mit dem Konsumverhalten der modernen Mediengesellschaft und garantiert hohen Zuschauerquoten zusammen. Den Modernen Fünfkampf in Tokio und die Disziplin Springreiten hätte kaum jemand wahrgenommen, wenn nicht die Bilder von Annika Schleu und ihrem Horror-Ritt um die Welt gegangen wären. «Ninja Warrior» liegt auf der Linie der Sport-Events, die vom Internationalen Olympischen Komitee (IOK) gefördert werden. Mehr Show, mehr Spektakel, mehr Geld – so lautet die Devise am IOK-Hauptquartier in Lausanne. Dass die Disziplin-Änderung im Modernen Fünfkampf nicht sofort erfolgt, hängt vor allem damit zusammen, dass der Reitsport an sich im internationalen, sport-politischen Kontext immer noch von grosser Bedeutung ist und sich die Reiter-Community natürlich damit schwer tut, diese traditionelle Reiter-Disziplin nun aus den internationalen Wettbewerben verschwinden zu lassen. Dass die Umsetzung der Neuerung erst nach den Spielen von Paris erfolgen wird, ist alles andere als ein Zufall und mag auch damit zusammenhängen, dass der Reitsport in Frankreich eine relativ starke Positionierung aufweist. Die Gastgeber-Stadt Paris der Olympischen Spiele soll dem Springreiten einen (denk-)würdigen Abgang nach den für Tier und Mensch entwürdigenden Auftritt von Annika Schleu in Tokio ermöglichen.