causasportnews, Nr. 1009/04/2023, 23. April 2023

(causasportnews / red. / 23. April 2023) Wir leben auf dem Planeten der zu kurz Gekommenen, der Diskriminierten und Benachteiligten. Nicht ganz so krass, jedoch ähnlich, verhält es sich insbesondere im Sport. Wobei in dieser Sparte im extremsten Fall von Bevorzugten die Rede ist, die den Betrogenen Platz machen mussten.
Zumindest temporär betrogen wurde die Schweizer Ski-Crosserin Fanny Smith, die an den Olympischen Spielen 2022 in Peking wegen Behinderung ihrer Deutschen Konkurrentin Daniela Maier disqualifiziert und auf den (undankbaren) 4. Schlussrang versetzt wurde. Die Deutsche Athletin erhielt die Bronzemedaille, die Schweizerin musste mit der sog. «ledernen» Auszeichnung Vorlieb nehmen. Schon vor der Medaillenvergabe in Peking regte sich Widerstand, und es wurde die Diskussion hierüber entfacht, ob Fanny Smith Daniela Maier wirklich behindert hatte oder eben nicht. Hatte sie offenbar nicht, wie nun das Internationale Olympische Komitee (IOK) bekannt gab. Bekannt gab oder entschied? Die Sportfunktionäre haben es zwischenzeitlich geschafft, Sportresultate mediativ-freundschaftlich festzulegen oder festlegen zu lassen. Der Betrug an Fanny Smith bezüglich der wegen (k)einer Behinderung vorenthaltenden Auszeichnung für den dritten Platz bewog vor allem den von verschiedener Seite wegen der «Causa Smith/Maier» unter Druck geratenen Internationalen Skiverband (FIS), die verzwickte Situation irgendwie zu einem guten Ende zu bringen, ohne die Deutsche auf den vierten Platz zu setzen. Doch für was hat denn die Sport-Familie das Sport-Schiedsgericht TAS (Tribunal Arbitral du Sport), das, wie Beispiel zeigt, auch vermittelnd in Erscheinung treten kann. So kam es, dass das TAS eine salomonische Lösung in der delikaten Angelegenheit vorgab: Sowohl Daniela Maier als auch Fanny Smith sind nun offiziell Bronze-Medaillen-Gewinnerinnen von Peking 2022. Dieses Schlichtungsergebnis unter der Ägide des TAS macht Mut: Endlich herrscht Klarheit darüber, dass auch Sportresultate verhandelbar sind, dies dem Unkenruf zum Trotz, dass auf dem Sportplatz erzielte Resultate das Abbild der realen Fakten seien – oder sein sollen. Aus Betrogenen können Fast-Betrogene und letztlich Rehabilitierte werden. Das IOK, welche die Bronze-Medaille-Übergabe an Fanny Smith kürzlich geradezu zelebrierte, wird sagen: Am Resultat von Peking ändert sich nichts, nur die Schlüsse daraus lassen Betrogene zu Rehabilitierten und Bevorzugte zu Mit-Gewinnern machen. Das muss auch so sein, denn nichts ist tragischer für den Sport als der Umstand, wenn das Publikum nach Beendigung eines Wettkampfes (während hier mehr als einem Jahr) nicht weiss, wie sich nun die Rangierung eines Wettkampfs präsentiert. Der «Fall Fanny Smith», bei dem es letztlich um individualisierte Gerechtigkeit nach dem kollektiven Betrug an der Schweizerin ohne Nachteil für die Deutsche ging, wurde denn auch auf kleinem Feuer gekocht. Das Publikum nahm die Medaillen-Zusatz-Vergabe nach mehr als einem Jahr nach Peking 2022 gar nicht mehr war. Das alles hatte auf den Medaillenspiegel der Olympischen Spiele in der Chinesischen Metropole keinen Einfluss. Österreich bleibt in der Gesamtwertung vor der Schweiz. Eine win-win-Situation für alle also.
Der Sport ist bekanntlich eine Plattform für Menschen, die sich irgendwie in Szene zu setzen wissen; nicht immer sind es sportliche Leistungen. Treten sie von der Sportbühne ab, sind Mittel und Wege gefragt, wie man sich wieder in das Scheinwerferlicht dieser Bühne begeben kann. Zum Beispiel der ehemalige Formel 1-Strippenzieher Bernard Charles Ecclestone, der den Rennzirkus über Jahrzehnte erfolgreich und clever, wie ein Dompteur, zu dirigieren wusste. Seit der nun bald 93jährige, ehemalige Gebrauchtwagenhändler von den neuen Eigner der höchsten Motorsport-Klasse, «Liberty Media», vor wenigen Jahren in den Ruhestand versetzt worden ist, hat auch der von der ganzen Welt liebevoll genannte «Bernie» erfahren, dass der Stellenwert eines Menschen in der Gesellschaft massiv sinkt, wenn er in dieser keine Bedeutung mehr hat. In einer solchen Situation muss der gealterte, ins gesellschaftliche Abseits gestellte Mensch sich anderweitig ins Szene setzen. Zum Beispiel mit einem aufgedeckten Betrugs-Skandal. Auf diese Weise ist es Bernie Ecclestone dank Schwatzhaftigkeit nun gelungen, wieder ins mediale Licht einzutauchen, wenn auch nicht wahnsinnig erfolgreich. Der Vorgang, den der mit allen Wassern gewaschene Brite publik gemacht hat, liegt auch schon lange zurück, nämlich beinahe 15 Jahre. Es war der 2. November 2008, als Felipe Massa im Ferrari den WM-Titel in der letzten Runde seines Heim-Grand-Prix an den rundherum bevorzugten Briten Lewis Hamilton verlor. Der WM-Titel des bescheidenen, wenig Glamour versprühenden Felipe Massa wurde diesem offenbar gestohlen, nachdem es in jener Formel 1-Saison zu Absprachen, Tricksereien und Betrügereien gekommen sei, so der ehemalige Dompteur des Motorsport-Zirkus’. Man habe unter den Mächtigen der Disziplin Stillschweigen vereinbart – um den Sport zu schützen. Das alles nützt dem Betrogenen, dem heute 42jährigen Brasilianer, nicht mehr viel. Aber vielleicht hilft das TAS, das, kein Scherz, nun vom Betroffenen (Betrogenen) zwecks Rehabilitierung angerufen werden soll. Weshalb nicht unter der Aufsicht der Sport-Schiedsrichter in Lausanne und mit dem Segen des IOK die Vergabe eines zweiten Formel 1-WM-Titels für 2008? Die Krux an der Geschichte: Formel 1 ist immer noch keine Olympische Disziplin, auch wenn Felipe Massa an sich schon rehabilitiert werden sollte. Aber das müsste doch schon irgendwie hinzubiegen sein.