causasportnews, Nr. 1003/04/2023, 2. April 2023

(causasportnews / red. / 2. April 2023) Nach über einem Jahr Krieg ist es nachvollziehbar, dass das Interesse an den Folgen der russischen Aggression gegenüber der Ukraine erlahmt und sich die Welt – horribile est dictu – sogar an diesen Zustand gewöhnt hat. Die Schlagzeilen zum brutalen, völkerrechtswidrigen Überfall eines Landes auf ein anderes Land sind spärlicher geworden und in den Hintergrund gerückt. Man mag die Schreckensmeldungen aus den umkämpften Regionen der Ukraine schon gar nicht mehr hören, die schrecklichen Bilder des Mordens und Zerstörens nicht mehr sehen! Diese Umstände hat das Internationale Olympische Komitee (IOK) genutzt, um weltweit so etwas wie sportliche Normalisierung einzuläuten; die Empfehlung des Schweizerischen Vereins mit Sitz in Lausanne gegenüber dem internationalen Sport, russische und weissrussische Athletinnen und Athleten am globalen Wettkampfgeschehen wieder teilnehmen zu lassen (soweit diese überhaupt ausgeschlossen waren oder sind), hat die generelle Front gegen den russischen Kriegstreiber-Staat aufgeweicht und die jede konsequente Linie zum Ausschluss Russlands aus dem internationalen Sportgeschehen zunichte gemacht. Das kommt nicht von ungefähr, befindet sich doch etwa der IOK-Präsident, der Deutsche ehemalige Fecht-Olympiasieger und -Weltmeister Thomas Bach, seit seinem Amtsantritt als höchster Sportfunktionär vor bald zehn Jahren, regelmässig auf Schmusekurs mit dem Russischen Präsidenten und seinen Vasallen im Kreml. Die Rolle des höchsten Olympioniken war mit Blick auf die Olympischen Spiele in Sotschi (2014) undurchsichtig; ebenso der milde Umgang des IOK unter Führung des ehemaligen Fechters nach dem Eklat im Zuge des russischen Staatsdopings nach Sotschi. Wahrscheinlich ist in diesen bald zehn Jahren der «Ära Thomas Bach» im IOK soviel (und wohl zuviel) geschehen, als dass der Deutsche nun plötzlich von seiner pro-russischen Linie abweichen würde und könnte (vgl. auch causasportnews vom 30. März 2023). Immer wieder wird kolportiert, dass etwa (auch) die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Thomas Bach und Russland zumindest bestehen sollen. Dieser Grundzustand wird sich wohl bis zum Abgang des amtierenden IOK-Präsidenten in etwas mehr als zwei Jahren nicht ändern. Dass das IOK derzeit alles daran setzt, um den Sport trotz der Kriegstreiberei Russlands zu «normalisieren», hängt insbesondere mit den Olympischen Spielen, die im kommenden Jahr in Paris stattfinden sollen, zusammen. Die Spiele sind die «cash cow» des IOK («cash cow with cash flow»), und es soll natürlich alles vermieden werden, um die Wettkämpfe an der Seine mit den dunklen Flecken des Krieges zu bekleckern. So hat das IOK schon einmal angedacht, die Ukraine zu sanktionieren, falls Sportlerinnen und Sportler aus dem vom Krieg malträtierten Land bei einer Teilnahme von russischen Athletinnen und Athleten in Paris boykottieren würden!
Trotz aller Kritik an der Öffnung des IOK und die eingeläutete internationale Lockerung gegenüber Russland und Weissrussland wird sich der organisierte Welt-Sport immer mehr für Russen und Weissrussen öffnen, ungeachtet des Umstandes, dass die Machthaber in Moskau und in Minsk derzeit intensiver und unverhohlen die Atomkeule schwingen; auch der Umstand, dass die Mehrheit der Russinnen und Russen den Krieg befürwortet, spielt für das IOK keine Rolle, wenn die Aktiven aus diesem Land «neutral» antreten und dem Krieg widersagen. Wenn selbst die sonst sehr eigenständigen Wimbledon-Organisatoren vor der IOK-«Empfehlung» bezüglich Sportlerinnen und Sportlern aus den genannten Ländern kapitulieren, wird der russische Sport allgemein bald wieder flächendeckend salonfähig werden. Löblich, aber wohl ohne Folge, dürfte etwa die Verlautbarung des Schweizerischen Sport-Dachverbandes «Swiss Olympic» sein, der trotz der IOK-Öffnungs-Empfehlung für Aktive aus Russland und aus dem Satellitenstaat Weissrussland an der gegenteiligen Meinung festhält und die IOK-Position nicht unterstützt. Ignoriert hat das IOK auch die Forderung von «Swiss Olympic», dass Funktionärinnen und Funktionäre aus den beiden Ländern nicht in Gremien internationaler Sport-Verbände und -Organisationen (wie dem IOK) sitzen dürfen. Vor allem die über 100 Mitglieder des IOK würde diese Forderung hart treffen, denn Mitglieder des Vereins «IOK» sind einzig natürliche Personen, und auch im IOK sind selbstverständlich Russen vertreten. Bereits einmal hat die Schweizerische Sport-Ministerin Viola Amherd vom IOK in dieser Sache konsequente(re)s Handeln verlangt (causasportnews vom 24. April 2022). Auf einen entsprechenden Brief der Bundesrätin im vergangenen Jahr hat das IOK nicht einmal geantwortet…