Im Gegensatz zum Ständerat (vgl. auch unseren Beitrag vom 5. Juni 2015 zum Beitrag) will der Schweizer Nationalrat die Privatbestechung von Amtes wegen verfolgen lassen. Wie am 26. Juni 2015 bekannt geworden ist, hat die Rechtskommission des Nationalrats mit dem Stichentscheid des Kommissionspräsidenten beschlossen, das in Vorbereitung befindliche Korruptionsstrafrecht in der Schweiz entsprechend auszugestalten. Die zentrale Frage bei der Behandlung des Korruptionsstrafrechts (auch „lex FIFA“ genannt) ist demnach, ob die Strafverfolgung bei Korruptionsverdacht ausserhalb eines wettbewerbsrechtlichen Umfelds auf Antrag oder ex officio erfolgen soll. Der Ständerat trat für die Lösung ein, die Korruption nur auf Antrag hin zu verfolgen, es sei denn, es würden „öffentliche Interessen“ tangiert. Die kleine Ka
mmer des Schweizer Parlaments fasste diesen Beschluss denkbar knapp mit 23 zu 22 Stimmen. Eben nur mit Stichentscheid des Kommissionspräsidenten hat sich nun der Nationalrat für die ex officio-Variante entschieden. Abgelehnt wurde von der Kommission hingegen der Antrag der Linken, eine Whistleblowing-Meldestelle für Korruption zu schaffen. Letztlich dürfte die Entscheidung über die Strafverfolgung bei Korruption knapp fallen.
Archiv für den Monat Juni 2015
Deutsches Anti-Doping-Gesetz in der Kritik
Obwohl das Deutsche Anti-Doping-Gesetz noch nicht in Kraft getreten ist – dies wird wohl anfangs 2016 der Fall sein – liegen bereits Klageandrohungen gegen den Erlass vor. Entsprechend äusserte sich jedenfalls der Sportrechtsspezialist Dr. Michael Lehner kürzlich in einem Interview mit den „Stuttgarter Nachrichten“ (18. Juni 2015) und kündigt einigermassen konkret eine Klage dagegen an. Der Heidelberger Anwalt ist bekannt als Rechtsvertreter vieler prominenter Athleten, die mit Dopingvorwürfen konfrontiert waren oder sind und verfügt über einschlägige Erfahrung im Doping-Sanktionsbereich. Er bemängelt beim vorgesehenen Anti-Doping-Gesetz die mangelnde Harmonisierung zwischen Straf- und Zivilrecht, was zu grösseren Konflikten führen könne. Weil im Sanktionsrecht der Athlet seine Unschuld beweisen müsse, im Strafrecht hingegen der Staat dessen Schuld, führe dies zu einer sehr widersprüchlichen Situation, weil allenfalls eine Sanktion verhängt werde, der Athlet jedoch im Strafverfahren freigesprochen werden müsse. Das Gesetz diene nicht dem Sport, sondern nehme dem Athleten seine Rechte, äusserte sich Michael Lehner („lieber kein Gesetz als so eines; ein grosser Wurf sieht anders aus“). Der Anwalt ist überzeugt, dass Sportler gegen das Gesetz klagen würden, „wenn es juristisch geht“. Michael Lehner freut sich zwar nicht auf ein Verfahren gegen das Gesetz, das er allenfalls führen würde. Die Klärung der Frage, ob das Anti-Doping-Gesetz in dieser Form rechtskonform sei, insbesondere mit Blick auf die sog. Doppelbestrafung durch den Staat und den Sport, auf datenschutzrechtliche Fragen sowie auf die Problematik der Schiedsgerichtsbarkeit im Sport, wäre ihm allerdings ein Anliegen, sagte er den „Stuttgarter Nachrichten“. Siehe auch den Beitrag von Michael Lehner mit dem Titel „Fehlende Verfassungskonformität des geplanten Anti-Doping Gesetzes“ im demnächst erscheinenden Heft Causa Sport 2/2015.
Aktuelle Urteile zu Regressansprüchen von sanktionierten Fussballklubs gegen „Störer“
Die Frage, ob – und ggf. unter welchen Voraussetzungen – ein Fussballklub, der vom zuständigen Verband wegen des Fehlverhaltens von Zuschauern mit einer Geldbusse belegt wird, auf den oder die betreffenden «Störer» Rückgriff nehmen kann, hat Praxis und Literatur in Deutschland bereits wiederholt beschäftigt. Kürzlich sind zu diesen Fragen erneut zwei Urteile gefällt worden. Zunächst hat das Landgericht Köln (7 O 231/14 vom 8. April 2015) einen Regressanspruch des 1. FC Köln gegen einen Fan bejaht, der während eines Spiels einen Knallkörper gezündet hatte, woraufhin der Klub in der Folge vom Sportgericht des DFB u.a. zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. Das entsprechende Urteil wird in Causa Sport 2/2015 auszugsweise abgedruckt und mit Anmerkungen versehen.
Im Mai dieses Jahres hat nun das Landgericht Hannover (2 O 289/14 vom 26. Mai 2015) einen ähnlichen Fall beurteilt. Hier hatte Hannover 96 gegen einen Fan, der sich anlässlich eines Auswärtsspiels des Klubs im sog. „Gästeblock“ aufgehalten und mit anderen Fans aus Hannover Knallkörper gezündet hatte, geklagt. Der Klub war im Nachgang des Spiels vom Sportgericht des DFB ebenfalls zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Im Unterschied zum LG Köln verneinte das LG Hannover indessen einen Regressanspruch des Klubs gegen den „Störer“. Das Gericht hielt zwar fest, dass ein Klub unter diesen Umständen grundsätzlich beim betreffenden Zuschauer Regress nehmen kann. Im konkreten Fall sah es die hierfür erforderlichen Voraussetzungen jedoch als nicht gegeben an. Vorgehalten wurde dem klagenden Klub aber insbesondere auch, dass er gegen die Sanktion im Rahmen des Sportgerichtsverfahrens keine Rechtsmittel ergriffen hatte. So blieb es bei den Erwägungen des DFB-Sportgerichts, dessen Begründung das Gericht auch zu kritischen Äusserungen veranlasste („Bedenklich erscheint der Kammer bereits, dass das Urteil des Sportgerichts nicht mit Gründen versehen ist, was ein gerichtliche Überprüfung der Entscheidung nicht eben erleichtert. Auf welche Erwägungen das Sportgericht diese gestützt hat, bleibt dunkel.“). Das Urteil des LG Hannover wird in Causa Sport 3/2015 auszugsweise abgedruckt und mit Anmerkungen versehen werden.
FIFA verliert „Fans“
Wie üblich, wenn das Negative prävaliert, lichten sich die Reihen der Treuen. Nicht anders ergeht es zur Zeit der FIFA, die skandal- und Affären umwittert ist. Obwohl nach den Verhaftungen von sieben Fussball-Funktionären Zürich im Vorfeld des FIFA-Kongresses Ende Mai weder irgendeine eine Verurteilung erfolgt ist (die Verhafteten sitzen lediglich in Auslieferungshaft) und etwa auch gegen den FIFA-Präsidenten nicht einmal ein konkreter Vorhalt existiert, scheint es unopportun geworden zu sein, sich im Umfeld des Weltfussballverbandes zu bewegen. Interpol hat bekannt gegeben, eine mit der FIFA abgeschlossene Vereinbarung mit der Hauptstossrichtung, gegen Sportmanipulationen im Zusammenhang mit Sportwetten anzukämpfen, sistieren zu wollen; es bleibt das Geheimnis der Kriminalpolizei-Organisation, wie sich ein Konnex zwischen der sog. „FIFA-Affäre“ und der Bekämpfung von Sportmanipulationen konstruieren lässt (Unschuldsvermutung!). Auch der Vatikan hat erklärt, „aufgrund des Korruptionsskandals im Weltfussballverband“ auf Zuwendungen der südamerikanischen Fussballkonföderation CONMEBOL zur Finanzierung eines vom Papst initiierten Schulnetzwerkes „Scholas Occurentes“ verzichten zu wollen; Korruption gab es ja bekanntlich im Vatikan nie (vgl. aber etwa den Skandal um die „Banco Ambrosiana“). Ins Horn der ethisch Erhabenen bläst nun auch das Nobelkomitee in Oslo, das eine Zusammenarbeit (Projekt „Handschlag für den Frieden“) mit der FIFA nicht mehr weiter führen will. Die Friedenapostel aus dem Norden haben selbstverständlich allen Grund, sich so zu verhalten: Das Nobelkomitee hat längst vor der FIFA jede Glaubwürdigkeit verspielt, als es dem amtierenden US-Präsidenten 2009 den Friedensnobelpreis zusprach (die Medien sprachen damals vom „Kriegsnobelpreisträger“). Ein Trost bei dieser Entwicklung bleibt der arg gebeutelten FIFA: Auf gewisse „Fans“ kann man getrost verzichten.
„FIFA-Skandal“: Keine substantiellen News von der Bundesanwaltschaft
Seit der Verhaftung von sieben Fussballfunktionären vor dem diesjährigen FIFA-Kongress Ende Mai in Zürich werden alle Vorkommnisse innerhalb und um den Weltfussballverband FIFA unter dem Generalthema „FIFA-Skandal“ abgehandelt. Die Bundesanwaltschaft in Bern hatte die Verhaftungen auf Ersuchen der amerikanischen Behörden vorgenommen. Seither befinden sich die betroffenen Funktionäre in Zürich in Auslieferungshaft. Die Bundesanwaltschaft ermittelt aber auch gegen „Unbekannt“ aufgrund einer Strafanzeige der FIFA selber; dabei geht es um allfällige Delikte im Zusammenhang mit den WM-Vergaben 2018 (Russland) und 2022 (Katar). Diese Vorgänge sind verbandsintern von Michael Garcia, seines Zeichens amerikanischer Staatsbürger, untersucht worden. Der entsprechende, sog. „Garcia-Bericht“ kann derzeit aus juristischen Gründen nicht veröffentlicht werden.
Die Bundesanwaltschaft hat zu den Ermittlungen im „FIFA-Skandal“ nun eine Medienorientierung abgehalten. Ausser der „bahnbrechenden“ Erkenntnis von Bundesanwalt Michael Lauber, er könne im Rahmen dieser Ermittlungen auch den FIFA-Präsidenten und den FIFA-Generalsekretär befragen, hat die Medienorientierung vor zahlreichen in- und ausländischen Medienschaffenden nichts Neues erbracht. Der Bundesanwalt zeigte sich aber erfreut, dass die Banken 53 Verdachtsfälle von Geldwäsche registriert hätten. Zu den erfolgten Verhaftungen von Fussball-Funktionären versuchte der Bundesanwalt die immer stärker aufkommende Vermutung in der Öffentlichkeit zu entkräften, die Bundesanwaltschaft bzw. die Schweiz befinde sich am „Gängelband“ der USA. Die Fakten (rechtshilfeweise Verhaftungen in Zürich in Anwesenheit der vororientierten New York Times kurz vor dem FIFA-Kongress) sprechen indessen für sich.
Zahnloses Kläffen des Europäischen Parlaments in der „FIFA-Affäre“
Zu den Akteuren, die einem Drang nach der Kundgabe ihrer Sicht auf die Vorgänge und die Situation in der FIFA aktuell offensichtlich partout nicht widerstehen können, hat sich nun auch das Europäische Parlament gesellt. In einer Entschliessung vom 11. Juni 2015 (2015/2730(RSP)) hat das EU-Organ reichlich laut „gebellt“ – wohl wissend, dass es aufgrund seiner beschränkten Handlungsmöglichkeiten im relevanten Sachbereich sowie der Tatsache, dass die Schweiz (wo die FIFA ihren Sitz hat) nicht Mitglied der EU ist, in keinerlei Hinsicht „beissen“ kann. Ob das dazu beiträgt, dass das Parlament – das selbst im institutionellen Gefüge der Union seit jeher dagegen kämpft, in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden – ernst(er) genommen wird, mag bezweifelt werden.
Die Inhalte der Entschliessung tragen jedenfalls nicht unbedingt dazu bei. So heisst es darin etwa: „in der Erwägung, dass 14 FIFA-Offizielle, darunter ihr Vizepräsident, am 27. Mai 2015 in Zürich von Schweizer Behörden festgenommen wurden …“ – dass die FIFA nicht nur einen, sondern insgesamt acht Vizepräsidenten hat (was die Tragweite dieser Erwägung massiv relativiert), wurde dabei offensichtlich übersehen. Oder: „in der Erwägung, dass von den Schweizer und US-amerikanischen Behörden auch eine gesonderte strafrechtliche Ermittlung dazu eingeleitet wurde, wie die Weltmeisterschaften 2018 und 2022 an Russland bzw. Katar vergeben wurden“ – hier wird geflissentlich verschwiegen, dass es die FIFA selbst war, die Ende letzten Jahres bei der schweizerischen Bundesanwaltschaft eine entsprechende Strafanzeige eingereicht und damit die fraglichen Ermittlungen ausgelöst hat. Oder: „in der Erwägung, dass die FIFA seit vielen Jahren als keiner Rechenschaftspflicht unterliegende […] Organisation gearbeitet hat“ – hier wird tunlichst vermieden darauf hinzuweisen, dass die FIFA schon seit Längerem bspw. nach internationalen Rechnungslegungsstandards öffentlich einsehbar Rechenschaft über ihre finanziellen Gegebenheiten ablegt.
Darüber hinaus wird die FIFA in der Entschliessung geradezu persönlichkeitsverletzend als „notorisch korrupte Organisation“ bezeichnet. Besonders bemerkenswert ist überdies die Erwägung des Europäischen Parlaments, nach der „die aktuellen Festnahmen bestätigen, dass Betrug und Korruption in der FIFA systembedingt, weit verbreitet und anhaltend sind“ – hier blendet das EU-Organ geflissentlich aus, dass eine Festnahme alleine noch nichts über die Frage aussagt, ob die betroffene Person tatsächlich schuldig ist; vielmehr gilt sie bis zu einer entsprechenden, rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig. Hier hätte den EU-Parlamentariern ein Blick in die eigene „EU-Grundrechtecharta“ sicherlich von Nutzen sein können (Art. 48 Abs. 1: „Jede angeklagte Person gilt bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis ihrer Schuld als unschuldig.“).
Vor dem Hintergrund solcher „handwerklicher“ Fehler relativieren sich die in der Entschliessung enthaltenen Forderungen – darunter etwa diejenige nach einem sofortigen Rücktritt des amtierenden FIFA-Präsidenten und der Einsetzung eines „Übergangspräsidenten“ – ganz von selbst. Die Entschliessung des Europäischen Parlaments vom 11. Juni 2015 stellt sich mithin letztlich als ziemlich zahnloses Kläffen dar.
Deutsche Sportwettenregelung (mal wieder) vor dem EUGH
Teile des deutschen Glücksspieländerungsstaatsvertrags, der 2011 bis auf Schleswig-Holstein von allen Bundesländern unterzeichnet worden ist und u.a. das Sportwettenkonzessionsverfahren regelt, werden wohl noch in diesem Jahr vom Europäischen Gerichtshof (EUGH) überprüft werden. Grund dafür ist ein Vorlageverfahren aus Bayern. Die Regulierung des Sportwettenmarktes im Rahmen des Vertrags bildet seit dessen Inkraftsetzung einen Zankapfel. Mit dem Vertrag sollte der Weg zur Öffnung des Sportwettenmarktes geebnet und 20 Konzessionen an Wettanbieter vergeben werden. Gemäss Fachleuten ist das Vergabeverfahren intransparent, fehlerhaft und europarechtswidrig. Mehrere Gerichte haben zwischenzeitlich das Konzessionsverfahren gestoppt; der Ball liegt nun im Rahmen des Vorlageverfahrens aus Bayern vorläufig beim EUGH. Nach einer mündlichen Anhörung in Luxemburg sprach der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) von einem unhaltbaren gegenwärtigen Zustand. Nach der Neufassung des Glücksspielstaatsvertrags sei das Sportwettenkonzessionsverfahren völlig im Chaos versunken. „Wir sind froh, dass eine bayerische Richterin die verquerte Logik der deutschen Sportwettenregulierung erkannt und dem EUGH zur Prüfung vorgelegt hat“, liess sich der Präsident des DSWV, Mathias Dahms, zitieren. Mehr noch als eine gerichtliche Aufarbeitung benötige Deutschland aber einen politischen Reformprozess, um die Schwachpunkte des Staatsvertrags zu beseitigen. Die aktuelle Rechtsunsicherheit befördere nämlich nur den Schwarzmarkt, während Verbraucher, Sport und Wettanbieter als Verlierer dastehen würden. Man erlebe im Moment ein „Glücksspielstaatsvertragsversagen auf der ganzen Linie“, liess Mathias Dahm verlauten.
Mit den Schlussanträgen des zuständigen Generalanwalts am EUGH in der Causa „Glücksspielstaatsvertrag“ ist im Verlauf des Monats September zu rechnen. Ein zentraler Aspekt, den der EuGH zu beurteilen haben wird, dürfte gemäss Verlautbarung des DSWV sein, ob das Sportwettenmonopol der deutschen Bundesländer tatsächlich abgeschafft sei oder mit dem novellierten Staatsvertrag faktisch fortgeführt werde.
Rechtliche Schritte gegen Theo Zwanziger
Dem ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger drohen gemäss Medienberichten rechtliche Schritte seitens des Staates Katar und des Fussballverbandes von Katar. Der 70jährige deutsche Funktionär hatte Katar im Zusammenhang mit der Vergabe der FIFA-Fussball-Weltmeisterschafts-Endrunde 2022 als „Krebsgeschwür des Weltfussballs“ bezeichnet. Katar sieht sich nach diesen Äusserungen von Theo Zwanziger verleumdet und beleidigt. Dem inzwischen auch aus dem FIFA-Exekutivkomitee ausgeschiedenen Theo Zwanziger soll inzwischen eine Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung zugestellt worden sein, wie offenbar aus Kreisen der Botschaft Katars in Berlin zu vernehmen war. Auf die rechtlichen Schritte hat der ehemalige DFB-Präsident offenbar mit Ironie reagiert, wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) zu entnehmen ist. „Dieses Vorgehen wird der Popularität Katars als WM-Austragungsort und sein Image in der Welt bestimmt entscheidend voranbringen“, wird der Beschuldigte von der FAZ zitiert.
FIFA: Verzogener Pulverdampf – vernebelte Fakten
Weltweit steht der sog. „FIFA-Skandal“ immer noch im Fokus der Interessen und der Spekulationen, auch wenn insbesondere der Medien-Tsunami, der über die FIFA hereinbrach, zwischenzeitlich etwas abgeflaut ist. Nach den Verhaftungen von sieben Fussball-Funktionären, die sich immer noch in Auslieferungshaft befinden, und dem angekündigten Rücktritt des FIFA-Präsidenten Joseph Blatter wird, nachdem sich der Pulverdampf etwas verzogen hat, das Ausmass des „Skandals“ offenkundig: Die von den USA inszenierte Verhaftungs- und Auslieferungsaktion vor dem FIFA-Kongress in Zürich war vor allem ein amerikanischer Propaganda-Coup (beflissen unterstützt etwa von der New York Times, die „rein zufällig“ just anlässlich der Polizeiaktion in Zürich am Ort des Geschehens war), und was am Schluss bleiben wird, ist reichlich ungewiss. Noch ist kein Fussball-Funktionär verurteilt worden, und auch dem FIFA-Präsidenten, auf den sich die Öffentlichkeit und die Medien eingeschossen haben, kann im Moment kaum etwas Substantielles angelastet werden. Obwohl eigentlich individuelle Funktionäre (fälschlicherweise wird durchwegs von „FIFA-Funktionären“ gesprochen) im Visier der Ermittlungen in den USA stehen (für welche die Unschuldsvermutung gilt bzw. gelten sollte), wird insbesondere gegen den Weltfussballverband FIFA insgesamt Stimmung gemacht und eben vom „FIFA-Skandal“ gesprochen und geschrieben. In diesem Zusammenhang muss vor allem der FIFA-Präsident ein mediales Trommelfeuer über sich ergehen lassen. So zierte Joseph Blatter bspw. am 30. Mai 2015 das Titelblatt des deutschen Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, das den FIFA-Präsidenten, obwohl dieser noch nie sanktioniert worden ist und gegen den keinerlei Beweise vorliegen (und er demnach im Sinne der Unschuldsvermutung als unbescholten gilt), als „korrupt“ diffamiert (eine Stossrichtung, die schon andere Prominente zu spüren bekamen, zuletzt etwa der ehemalige deutsche Bundespräsident Christian Wulff, der zuerst wegen angeblicher juristischer Verfehlungen medial gejagt und nach dessen Freispruch dann eben mit „der ethischen Keule“ erlegt wurde (vgl. hierzu etwa Alexander Görlach, Wir wollen euch scheitern sehen! Wie die Häme unser Land zerfrisst (Anmerkung der Red.: mit „unser Land“ ist Deutschland gemeint) zerfrisst, 2014). Offenkundig wird im momentanen Faktennebel, dass die auf Geheiss der schweizerischen Justizministerin – einer ausgebildeten Musiklehrerin, die schon deswegen auf Harmonie mit den USA bedacht scheint – durchgeführte Aktion der schweizerischen Bundesanwaltschaft auf Ersuchen des US-Justizministeriums gegen die Fussballfunktionäre offensichtlich eine vorbereitende Aktion war. Dies um letztlich der FIFA zu gegebener Zeit eine Rechnung präsentieren zu können (wohl dann mit dem Argument, die FIFA sei eine kriminelle Organisation), so wie es seit einiger Zeit die schweizerische Bankenwelt zu spüren bekommt –
zuerst im Rahmen der Holocaust-Gelder, nun wegen steuerlicher Aspekte. Juristisch wird das Resultat der bundespolizeilichen Verhaftungsaktion, die von Fachleuten nota bene als völlig unverhältnismässig qualifiziert wird (weshalb wurden die Verhafteten z.B. nicht in den USA festgenommen?), am Schluss wohl nicht allzu ergiebig ausfallen. Geradezu notorisch ist die Tatsache, dass Aktionen der schweizerischen Bundesanwaltschaft oft im Desaster zu enden pflegen und ausser Schall, Rauch und anfänglichem medialen Getöse selten etwas übrig bleibt (vgl. etwa zuletzt die Fälle „Hells Angels“, „Behring“, „Holenweger“, „Rütli-Bomber“). Geht es um Fakten, ist in der Regel etwa eher nicht auf den „Spiegel“, sondern vorzugsweise auf die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) abzustellen, die allerdings bei der Gewichtung ihrer Berichterstattung zum sog „FIFA-Skandal“ auch nicht durchwegs durch Sachlichkeit und Verbreitung traditionellen liberalen Gedankenguts, sondern eher durch weltverbessernde Sozialromantik und eigenartige Fokussierungen glänzt: So berichtet die „NZZ am Sonntag“ am 7. Juni 2015 bereits auf Seite 2 weltbewegend, dass der FIFA-Film „United Passions“ bei seiner Erstaufführung in Los Angeles von lediglich zwei Personen angeschaut worden sei (was in diesem Land, in dem der Fussball keinen nennenswerten Stellenwert aufweist, auch nicht verwunderlich ist); eine krude Karikatur rundet die Anti-FIFA-Berichterstattung dann ab (es sagt ein Trainer zu den Fussball-Kids: „Eure Hände dürfen nicht an den Ball“ – Antwort eines Jungspielers: „Aber ans Schmiergeld schon?“). Signifikanterweise ein Sozialdemokrat, der jeden Sonntag in der „NZZ am Sonntag“ eine originelle Schlagzeile platzieren darf, versucht es auf den Punkt zu bringen und kommentiert die Rücktrittsankündigung des FIFA-Präsidenten aus Visp im Kanton Wallis im Zürcher Weltblatt so: „Oberwalliser Gämschi von heuchlerischer Weltgemeinschaft gnadenlos gewildert“. In der „NZZ“ vom 9. Juni 2015 scheint dann auch die Redaktion der NZZ den Blick für die Realitäten wieder entdeckt zu haben, allerdings lediglich auf der Medienseite. „Böse FIFA, gute USA“ heisst es in einem Beitrag, welchem an sich nichts beizufügen ist („Die Klage über die Amerikaner, welche im Irak einmarschierten und in Gefängnissen Folter zuliessen, scheint nun zu verstummen angesichts der moralischen Kraft, mit der die USA in das dunkle abendländische Reich des Filzes und der Korruption hineinleuchten“ (NZZ vom 9. Juni 2015, S. 50)). Mit Blick auf die moralisierende Berichterstattung des „Spiegel“ schreibt der NZZ-Journalist Rainer Stadler, den bösen Protagonisten Sepp Blatter, Wladimir Putin und Marine Le Pen als finsteres Trio werde nun die Heldin in der Gestalt der amerikanischen Justizministerin Loretta Lynch, welche „aufräume“, gegenüber gestellt – wozu sie als Ministerin in der Administration eines weltweit in kriegerische Handlungen involvierten Präsidenten mit Friedens-Nobelpreis-Auszeichnung selbstverständlich prädestiniert ist. Obwohl die USA vorgeben, juristisch Ordnung zu schaffen, scheint deren Stossrichtung klar zu sein, wie es der „Weltwoche“-Chefredakteur Roger Köppel skizziert: „Natürlich ist das US-Justizverfahren gegen die FIFA politisch motiviert“, schreibt er in seinem Blatt (Weltwoche vom 4. Juni 2015, S. 4). Praktisch die ganze Medienwelt beteiligt sich im Augenblick am FIFA-Bashing – die Amerikaner wird’s freuen. Im Trend liegt nun in Anbetracht des „Skandals“ auch, sich von der FIFA zu distanzieren, wie es etwa die ohnehin aufgeblähte internationale Polizeiorganisation INTERPOL, über deren Nutzen für die Menschheit durchaus geteilte Meinungen existieren, soeben getan hat, welche in Anbetracht des Vorgefallenen die vor ein paar Jahren abgeschlossene Vereinbarung mit der FIFA zur Bekämpfung von Betrügereien im Zusammenhang mit Sportwetten sistierte. Noch pharisäerischer gibt sich derzeit der Vatikan, der, wie Radio Vatikan am 12. Juni 2015 mitteilte, wegen des Korruptionsskandals in der FIFA auf Spendengelder des südamerikanischen Kontinentalverbandes CONMEBOL verzichten will. Fussball und Katholische Kirche bildeten bis anhin eine klassische Leidensgemeinschaft. Wer etwas auf sich hielt, auf mediale Auflagensteigerung bedacht war oder seine Beliebtheit zu verbessern beabsichtigte, drosch vor allem öffentlich auf die Katholische Kirche oder die FIFA ein. Seit Armuts-Papst Franziskus in Rom auf dem Stuhl Petri sitzt, eignet sich der Katholizismus als Bashing-Opfer nur noch bedingt. Übrig bleibt der Weltfussballverband. Ob auch für die FIFA bessere Zeiten nach dem Blatter-Rücktritt kommen werden? Ein Papst-Wechsel kann jedenfalls Wunder bewirken.
Zweiter Entscheid des Obergerichts Zürich zum Letzigrund-Fackelwerfer
„Pyrotechnik ist kein Verbrechen“ – so lautet ein von Fussballfans häufig skandierter Spruch. Zwar ist nicht anzunehmen, dass diese dabei die Unterscheidung zwischen Verbrechen und Vergehen (Art. 10 Abs. 2 und 3 StGB) vor Augen haben; ein auf Anweisung des Bundesgerichts ergangenes Urteil des Obergerichts Zürich (Urteil SB140349 vom 31. März 2015) bestätigt indessen nolens volens diese Auffassung.
Anlässlich des Meisterschaftsspiels der Fussball-Super League zwischen dem FC Zürich und dem Grasshopper Club Zürich am 2. Oktober 2011 warf ein Anhänger des FC Zürich eine 1‘500 Grad heisse Seenotfackel in den Sektor der Fans des Grasshopper Clubs. Glücklicherweise wurde dadurch niemand verletzt. Der Täter wurde dennoch wegen Gefährdung des Lebens (Art. 129 StGB) angeklagt.
Am 18. Mai 2012 verurteilte das Bezirksgericht Zürich den Täter unter anderem wegen Gefährdung des Lebens. Das Obergericht Zürich erkannte am 22. April 2013 auf versuchte schwere Körperverletzung (Art. 122 StGB) und hob den Schuldspruch wegen Gefährdung des Lebens auf. Das Bundesgericht wiederum hob dieses Urteil auf; es stellte eine unzulässige reformatio in peius fest (Art. 391 Abs. 2 StPO) und wies das Obergericht an zu prüfen, ob der Schuldspruch des Bezirksgerichts wegen Gefährdung des Lebens zu bestätigen sei oder nicht. Das Obergericht hat nun entschieden, dass der Fackelwurf nicht als Handlung zu qualifizieren sei, mit der Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr gebracht wurden.
Dogmatisch ist dieser Schlussfolgerung zuzustimmen. Nichtsdestotrotz bleibt ein fahler Beigeschmack, hat der Täter doch erhebliche kriminelle Energie an den Tag gelegt und schwerste Verletzungen von Personen zumindest in Kauf genommen. Ein Schuldspruch wegen versuchter schwerer Körperverletzung wäre juristisch zweifellos zutreffend gewesen. Lediglich dem Prozessverlauf ist es zuzuschreiben, dass eine Verurteilung wegen dieses Tatbestandes nicht mehr möglich war. Damit hat sich der „Fackelwerfer“ nach Ansicht des Obergerichts im Ergebnis tatsächlich keines Verbrechens (Art. 129 StGB), sondern lediglich eines Vergehens (Art. 123 StGB) schuldig gemacht.