causasportnews / Nr. 1025/06/2023, 9. Juni 2023

(causasportnews / red. / 9. Juni 2023) Seit den Todesritten am diesjährigen Kentucky Derby, als in Louisville gegen zehn Pferde die Torturen dieses Prestige-Rennens nicht überlebten (causasportnews, 16. Mai 2016), werden wieder einmal Grundsatzdiskussionen geführt, die immer geführt werden, wenn diese Sportart nach erschütternden Ereignissen in den Fokus nicht nur von Tierschützern gerät. Die Antwort auf die Frage, ob der Pferdesport in dieser Form abgeschafft gehört oder nicht, ist jeweils vorgezeichnet: Die moderne Betroffenheits-Gesellschaft nimmt Anteil, vergisst relativ rasch und geht zur Tagesordnung über. Doch die Dramen anlässlich des Kentucky Derby wühlten nachhaltig(er) auf als andere Ereignisse der letzten Jahre im Pferdesport; etwa, als die Deutsche Annika Schleu anlässlich der Olympischen Spiele in der Reit-Disziplin des Modernen Fünfkampfs in Tokio 2021 ihr Pferd vor den Augen der unmittelbaren und mittelbaren Öffentlichkeit derart malträtierte, dass in der Folge ein Shitstorm über die Sportlerin fegte. Dem versuchte sie dann durch Heirat und Namensänderung zu entrinnen – zusätzlich mit der Flucht in die Mutterschaft (causasportnews vom 7. November 2021). Die heute 33jährige Deutsche hat mit ihrem Horror-Ritt an Olympia dennoch mehr bewirkt als flächendeckende Tierschutz-Proteste, auch wenn der Vorfall in Tokio als Einzel-Ereignis bagatellisiert und gewertet wurde: Die Disziplin Reiten im Modernen Fünfkampf gehört nach den Olympischen Spielen 2024 der Vergangenheit an. Statt als Verursacher von Pferdequalen haben sich Athletinnen und Athleten danach selber über einen Hindernisparcours zu quälen. Das Sportgerät «Pferd» bleibt nach den Spielen in Paris im kommenden Jahr aussen vor. Der «Fall Annika Schleu» hat dem Pferdesport in einer speziellen Disziplin einen entscheidenden Sargnagel gesetzt. Trotz des Horrors anlässlich des Kentucky Derby ist der Pferdesport in seiner Ganzheit jedoch nicht vom Untergang bedroht. Zu wichtig, berühmt und berüchtigt ist dieses Rennen für die Wirtschaft und die Medien; diese Industrie, die Spektakel garantiert, lässt sich wegen ein paar toter Pferde nicht beerdigen. So beteuern Pferdesport-Fans, aus welchen Gründen auch immer, dass der Pferdesport trotz allem eben nicht abgeschafft gehört. Beschworen wird dennoch global und generell das «Tierwohl», ein Begriff, unter den alles und nichts subsumierbar ist, was für Sport-Ethik und für den Schutz der Kreatur steht. Nichts zu dieser Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegner des Pferdesports kann das Pferd selber beitragen, das von Pro-Pferdesportlern gendergerecht als «Athlet Pferd» qualifiziert wird, das es (sächlich) zu schützen gilt. Eine ureigene Aufgabe des Tierschutzes also. Wie es (nicht das Pferd) auch gedreht und gewendet wird, ist klar, dass das Pferd ein Sportgerät bleibt und niemand weiss, wie dieses effektiv geschützt werden soll. Es ist fast so, wie wenn Politiker nach jeder noch so brutalen kriegerischen Auseinandersetzung auf dieser Welt verlangen und den Massen zurufen: «Nie wieder Krieg» und sogar an diese Beschwörungsrituale glauben, in dem sie künftig etwa «genau hinschauen», sich sonst jedoch hilflos gebärden, was die Verhinderung des nächsten Krieges angeht; das gelingt eben auch nie.
Verstärkte Regulierungen, Schutzbestimmungen, Tierwohl-Bestrebungen und Sanktionen von fehlbaren Reitern sollen die Auswüchse im Pferdesport mildern. Ein wahres Tummelfeld für Theoretiker und ein Eldorado für Sport-Juristen also, die sich hier in allen erdenklichen, rechtlichen Facetten betätigen und auf allen juristischen Ebenen austoben können. Diese Aktivitäten reichen weit zurück, in Deutschland bis in die Neunziger-Jahre des letzten Jahrtausends, als der Deutsche Bundesgerichtshof am 28. November 1994 den berühmt gewordenen «Reiter-Entscheid» fällte (BGHZ 128, 93). Dabei ging es um die Problematik, wer dem Sanktionsrecht der (Pferdesport-)Verbände unterstehe, nicht um die Grundsatz-Fragestellung, ob ein guter, verantwortungsvoller und pferde-empathischer Reiter auch ein gutes Renn-Ross gewesen sein müsse.