causasportnews / 1188/10/2024, 5. Oktober 2024
(causasportnews / red. / 5. Oktober 2024) Ein neuer «Fall Bosman» ist es nicht (ganz), aber die Auswirkungen einer Gerichtsentscheidung aus Luxembourg auf den organisierten Welt-Fussball sind wohl gewaltig und müssen als schallende Ohrfeige gegen den Internationalen Fussball-Verband (FIFA) angesehen werden: Der Europäische Gerichtshof hat auf Ersuchen eines belgischen Gerichts in einem sog. «Vorabentscheidungsverfahren» geurteilt, dass zentrale FIFA-Regeln des Verbands-Transfersystem gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaft (EU-Recht) verstossen und somit widerrechtlich sind. Insbesondere geht es um die Solidarhaftung von Fussballklubs, welche einen Spieler unter Vertrag nehmen, der zuvor bei einem anderen Klub aus «nicht triftigem Grund» (was weitgehend der Reglung von Art. 337 des Schweizerischen Obligationenrechts, OR, entspricht: Fall der ungerechtfertigten, sofortigen Vertragsbeendigung) aus einem (Arbeits-)Vertragsverhältnis ausgestiegen ist. Ungerechtfertigterweise vertragsbrüchig geworden nach Ansicht der FIFA war offenbar im vorliegenden Fall der heute nicht mehr aktive, 39jährige ehemalige Top-Spieler Lassana Diarra. Der Vorgang spielt sich ab im Spannungsverhältnis von Vertrags- und Verbandsrecht, bzw. geht es um die Thematik, wie das Verbandsrecht auf gewisse, arbeitsrechtliche Konstellationen zu reagieren hat, bzw. darf oder nicht darf.
Der Fussballspieler Lassana Diarra spielte ab 2014 beim Verein Lokomotive Moskau, überwarf sich dort mit dem Trainer und beendet schliesslich sein Gastspiel in der russischen Metropole. Er kam schliesslich bei Olympique Marseille unter, nachdem sich der belgische Klub RCS Charleroi von einem Vertragsabschluss mit dem Spieler scheute, weil wegen des (angeblichen) Vertragsbruchs in Moskau eine Solidarhaftung des neuen Klubs mit dem Spieler befürchtet werden musste; die involvierten Verbände hatten damit gedroht. Die FIFA, letztlich vom Internationalen Sport-Schiedsgericht TAS (Tribunal Arbitral du Sport) mit Sitz in Lausanne gestützt, belegte den Spieler wegen des Vertragsbruchs ohne triftigen Grund (ungerechtfertigt Vertragsbeendigung) mit einer Busse von 10 Millionen Franken, wofür der neue Klub mit dem Spieler hätte solidarisch gerade stehen müssen. Diese FIFA-Entscheidung und das TAS-Urteil wollte der Spieler nicht akzeptieren und rief das Gericht in Mons (Belgien; Sitz des RCS Charleroi) an. Diese Instanz legte die Rechtsfrage, ob diese Solidarhaftung eines Klubs für einen Vertragsbruch eines Spielers, mit dem der Klub noch keine Rechtsbeziehung hatte, dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vor (Gerichte im europäischen Raum können dem Europäischen Gerichtshof Rechtfragen bezüglich Kompatibilität mit dem Unionsrecht unterbreiten. Der Gesamtentscheid wird dann vom nationalen Gericht, das den Europäischen Gerichtshof angerufen hat, entschieden). Das Verbandsrecht (mit der Solidarhaftung von Klubs bei Vertragsbeendigungen aus nicht triftigen Gründen) verstosse gegen EU-Recht, lautet nun der Entscheid aus Luxembourg. Das Gericht in Mons wird nun das finale Urteil zu fällen haben.
Damit kassierte die FIFA eine schmerzhafte Gerichts-Klatsche und wird insbesondere die Solidaritätsregelung zum Schutz der Klubs nicht mehr halten können. Die FIFA wäre jedoch nicht die FIFA, wenn sie den Spruch aus Luxembourg nicht in einen Sieg umdeuten würde. Als nicht so schlimm, hiess es vom Zürichberg in der Stadt Zürich nach Bekanntwerden des EU-Gerichtsentscheids. Das sehen Sportrechts-Experten wesentlich anders, auch wenn die Dimensionen dieses Falles nicht ganz, aber dennoch, mit den Auswirkungen des «Bosman-Entscheids» von 1995 verglichen werden können. Apropos Jean-Marc Bosman: Jener Spieler wurde vom gewieften belgischen Rechtsanwalt Jean-Louis Dupont vertreten, der selbe Anwalt also, der nun auch für Lassana Diarra – juristisch erfolgreich – tätig ist!
Die FIFA musste nun in kürzester Zeit juristisch zweimal schmerzliche Niederlagen vor Gerichten einstecken, kürzlich am Zürcher Handelsgericht, als es gegen den Technologiekonzern Google eine Schlappe absetzte (vgl. auch causasportnews vom 26. September 2024); und nun in der «Causa Lassana Diarra» am Europäischen Gerichtshof. Die Gralshüter des Unionsrechts setzten zumindest einen gewichtigen Sargnagel bezüglich des FIFA-Transfersystems und des exzessiv gehandhabten, arbeitsrechtlichen Vertragsschutzes zu Gunsten der Klubs.
Die Entscheidung ist auch ein Fingerzeig bezüglich der Rechtlage in der Schweiz, wenn ein Fussballspieler aus der Sicht der FIFA (durchwegs auch gestützt durch das FIFA-lastige TAS) ungerechtfertigterweise aus einem Arbeitsvertrag aussteigt und ein neuer Klub für Schadenersatz, Busse, usw. solidarisch mit dem Spieler zu haften hat, bzw. haften soll. Diese Verbands-Rechtsprechung aus der FIFA-Zentrale ist zweifelfrei auch nach schweizerischer Rechtordnung krass widerrechtlich.