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Die polysportive (Sport-)Welt des Alexander Zverev

causasportnews / Nr. 1043/08/2023, 3. August 2023

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(causasportnews / red. / 3. August 2023) Alexander Zverev ist ein begnadeter Tennisspieler, der sich nach einer schweren Fussverletzung, die er sich anlässlich der French Open vor einem Jahr zugezogen hatte, derzeit zurückkämpft. Soeben hat er sein Heim-Turnier Am Rothenbaum in Hamburg überzeugend gewonnen, und es bestehen keine Zweifel, dass das nicht der letzte Schlag des 26jährigen Deutschen in diesem Jahr war. Apropos «Schlag». Das emotionsgeladene Energiebündel schlägt nicht nur auf den Tennisplätzen der Welt gut auf, sondern auch ab und zu ausserhalb des Sportplatzes offenbar unschön zu. Die polysportive (Sport-)Welt des Alexander Zverev besteht nicht nur aus Triumphen und Erfolgen, sondern auch aus Ereignissen, die man lieber nicht vernehmen würde, bzw. nie geschehen wären.

Weil bei Sportlerinnen und Sportlern im digitalen Zeitalter der neuen Medien das Private dem öffentlichen Bereich ziemlich ebenbürtig geworden ist und die Protagonisten diese Sphäre durchwegs bewusst als Marketingplattform nutzen, wird der Öffentlichkeit vielfach Negatives bekannt, das entsprechend aufgebauscht wird und die sachliche, öffentliche Berichterstattung etwa in den Medien und auch das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit übersteigt. Das aktuelle Beispiel von Alexander Zverev ist ein Paradebeispiel hierfür. So fragt die Deutsche Illustrierte «Bunte» in einer gross aufgemachten Geschichte: «Ist der Tennis-Star ein Frauen-Schläger?» (27. Juli 2023, 30/31). Die Regenbogen-Postille, in die Promis und Sternchen jedwelcher Couleur üblicherweise drängen und dabei einen persönlichen, positiven Image-Transfer erwarten, ist bei Gelegenheit geneigt, auch unschöne und dunkle Seiten eines (Sportler-)Lebens ins mediale Rampenlicht zu rücken. Gross aufgemacht und entsprechend bebildert vermeldet die Illustrierte, dass sich die Justiz in der «Causa Alexander Zverev» mit häuslicher Gewalt, mit welcher sich der Tennis-Olympiasieger konfrontiert sieht, befasst. Im weitesten Sinn geht es um ausgeartete Beziehungskonflikte und eben Gewalt, die eine frühere Partnerin des Tennis-Stars zur Anzeige brachte; es steht Körperverletzung im Raum (für Alexander Zverev gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung). Nach der «Bunte» soll ein Strafbefehl erlassen werden, der von der Berliner Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Tiergarten Berlin verlangt worden ist. Beantragt wurden 90 Tagessätze à 5’000 Euro, was immer hin 450’000 Euro ausmacht. Sicher eine Bagatelle für den Tennis-Crack – oder wie es die «Bunte» sicher nicht ganz unrichtig sieht: «Viel schwerer wiegt der Imageverlust. Er (Alexander Zverev, die Red.) würde dann als Frauen-Schläger dastehen». Sicher nicht ganz verfehlt orakelt die Illustrierte, dass in diesem Fall «Sponsoren von ihm Abstand nehmen könnten». Noch ist kein Verdikt in dieser Sache rechtskräftig, aber klar ist, dass bei Sportlern, welche auch im modernen Sport in allen Belangen und Bereichen Vorbilder sein sollen, solche gravierenden Entgleisungen im Privatbereich zu einem Marketing-Super-GAU führen können. Gewalt, nicht nur gegenüber Frauen selbstverständlich, geht nun einfach nicht – und gehört verurteilt.

Die Unschuldsvermutung in der «Causa Paul Estermann» und ihre Folgen

causasportnews, Nr. 1010/04/2023, 25. April 2023

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(causasportnews / red. / 25. April 2023) Niemand wird bestreiten wollen, dass der Fall des Springreiters Paul Estermann mehr als unappetitlich ist. Tierquälerei ist kein Kavaliersdelikt, der bald 60jährige, frühere Top-Reiter gilt seit Ende des letzten Jahres als rechtskräftig verurteilt, und soeben ist der Luzerner von der Sanktionsinstanz des Schweizerischen Verbandes für Pferdesport (SVPS) für sieben Jahre aus dem Sport verbannt worden (causasportnews, 17. April 2023; diese Sanktion ist noch nicht rechtsgültig). Mit der rechtskräftigen Verurteilung gilt der einst erfolgreiche Pferdesportler strafrechtlich und strafprozessual nicht mehr als «unschuldig». Dieser Umstand verleitet nun vor allem die Boulevardmedien zu geradezu irren Schlussfolgerungen und Darlegungen; so wird etwa der «Blick» seinem Ruf als perpetuiertem Stammtisch in dieser Angelegenheit wieder einmal gerecht. Die Zeitung hat ausgerechnet, dass Paul Estermann seit 2017, als der «Blick» die Affäre um den Springreiter aufgedeckt hat, bis 2022, als die rechtskräftige Verurteilung erfolgte, ein Preisgeld von 734’000 Franken eingeritten hat, alleine von 2017 bis 2019 sollen es mehr als 500’000 Franken gewesen sein. Das geht in den Augen der Boulevard-Journalistinnen und -Journalisten gar nicht. Dabei wird verkannt, dass Paul Estermann eben erst seit Ende 2022 rechtskräftig verurteilt ist. Für die wohl auf dem Niveau des Stammtisches argumentierende Zeitung mit den grossen Buchstaben bedeutet das ein moralisches Unding. So, wie am Stammtisch jedermann und jedefrau drauflosschwatzen und -schimpfen kann, können die Boulevardmedien publizistisch poltern, wenn des Volkes Stimme und Stimmung mitgetragen werden soll; geht es um sportliche oder im Zusammenhang mit dem Sport stehende Themen, wird das heute «Medien-Hooliganismus» genannt. Beiderorts, am Stammtisch und in den Redaktionen der Boulevardmedien, scheint das Bildungsniveau der Akteurinnen und Akteure durchwegs nicht allzu ausgeprägt zu sein. Natürlich bleibt in Anbetracht der kollektiven, medialen Empörung so völlig ausgeblendet, dass es etwa in Art. 10 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO)heisst: «Jede Person gilt bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.». Die Unschuldsvermutung ist ein tragendes Grundprinzip eines jeden rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Diese Maxime gilt natürlich für alle Delinquenten, auch wenn sie sich durch ihre Taten Abscheuliches haben zuschulde kommen lassen. So gesehen geht das Poltern des «Blick» in eine völlig falsche Richtung. Bis Ende 2022 galt Paul Estermann als unschuldig und durfte korrekterweise im Pferderennsport weiter aktiv dabei bleiben. Eine Frage bleibt dennoch, weshalb der SVPS die nun ausgefällte Sanktion (Vereinsstrafe) gegenüber dem verurteilten Springreiter nicht vorher zumindest ernsthaft ins Auge gefasst hat. In Konstellationen wie der hier vorliegenden schieben die Sanktionsbehörden von Verbänden die «heisse Sanktions-Kartoffel» gerne hin und her und lassen oft verlauten, dass über Vereinsstrafen dann befunden würde, wenn ein Strafurteil vorliege. Die Ebenen Strafrecht und Sanktionsrecht bilden dennoch voneinander unabhängige Straf- bzw. Sanktionsebenen.