Urteil des BGH zum „Fall Wilhelmshaven“ setzt die (deutschen) Verbände unter Zugzwang

index(causasportnews / red. / 20. September) Sportlich ganz unten, aber juristisch ganz oben – das trifft auf den deutschen Fussballklub SV Wilhelmshaven nun tatsächlich zu (siehe schon Causa Sport News vom 17. Juni 2016). Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) hat – eine Woche früher als erwartet (siehe Causa Sport News vom 6. Juli 2016) – dem mittlerweile in der Bezirksliga spielenden Klub Recht gegeben und den gegen ihn vollstreckten Zwangsabstieg wegen Nichtbefolgung von Entscheiden von FIFA-Organen und des internationalen Sportschiedsgerichts CAS für unwirksam erklärt (Urteil vom 20. September 2016, II ZR 25/15).

Der SV Wilhelmshaven hatte sich geweigert, die von den hierfür zuständigen FIFA-Stellen festgesetzte Ausbildungsentschädigung im Zusammenhang mit dem Transfer eines ausländischen Spielers in der Höhe von 157‘500 € zu bezahlen. Dafür war er von der FIFA-Disziplinarkommission u.a. mit einem Zwangsabstieg sanktioniert worden. Die „Vollstreckung“ dieser Sanktion oblag dem Norddeutschen Fussballverband (NFV), dessen unmittelbares Mitglied der SV Wilhelmshaven ist, und erfolgte auf das Ende der Spielzeit 2013/2014 hin. Gegen den entsprechenden Beschluss des NFV beschritt der Klub indessen den Rechtsweg, unterlag jedoch in erster Instanz (siehe Causa Sport 2014, 178 ff.). Auf Berufung des SV Wilhelmshaven hin entschied das Oberlandesgericht (OLG) Bremen aber zugunsten des Klubs und erklärte den Zwangsabstieg für unwirksam (siehe Causa Sport 2015, 49 ff.). Der BGH schliesslich bestätigte nun – auf Revision des NFV hin – das Berufungsurteil im Ergebnis. Der Beschluss des NFV über die Relegation des SV Wilhelmshaven sei nichtig, weil er in das Mitgliedschaftsverhältnis des Klubs zum NFV eingreife, ohne dass dafür eine ausreichende Grundlage in der Satzung des NFV vorhanden sei. Dessen Satzung sähe keine Disziplinarstrafen bei Nichtzahlung von Ausbildungsentschädigungen vor. Ob sich aus den Satzungen des DFB oder der FIFA entsprechende Bestimmungen ergäben, sei demgegenüber ohne Belang, weil der SV Wilhelmshaven selbst in diesen beiden Verbänden nicht Mitglied sei.

Das Urteil des BGH hat zunächst (nur) unmittelbare Auswirkungen auf die Verbände in Deutschland. Diese sind nun wohl gehalten, ihre Satzungen dahingehend anzupassen, dass diese für Fälle wie dem hier relevanten eine ausreichende, ausdrückliche Grundlage für entsprechende „Vollstreckungen“ von Sanktionen übergeordneter Verbände zur Verfügung stellen. Dass die Entscheidung des BGH auch ausserhalb Deutschlands – und dabei insbesondere in der Schweiz, wo bekanntlich die meisten internationalen Sportverbände (im Fussball etwa die FIFA oder die UEFA) ihre Sitze haben – Wirkungen entfalten wird, darf hingegen mit einiger Berechtigung in Frage gestellt werden. Vor allem die schweizerische Rechtspraxis zur sog. indirekten bzw. mittelbaren Vereinsmitgliedschaft – und, damit zusammenhängend, zu der Figur der sog. dynamischen Verweisung – ist weniger formalistisch und mithin grosszügiger als in Deutschland.

Was schliesslich die FIFA anbelangt, wird sie insbesondere mit Interesse zur Kenntnis genommen haben, dass der BGH die Frage der Vereinbarkeit der dem Streitfall ursprünglich zugrunde liegenden Regelung über Ausbildungsentschädigungen mit den Bestimmungen des Rechts der Europäischen Union (EU) über die Arbeitnehmerfreizügigkeit explizit nicht untersucht hat. Die Berufungsinstanz – das OLG Bremen – hingegen hatte diese Frage noch adressiert und festgestellt, dass die betreffende Regelung gegen das einschlägige EU-Recht verstosse. Hätte der BGH diesen Punkt ebenfalls bestätigt, wäre die FIFA wohl veranlasst gewesen, die – im Rahmen langwieriger und umfassender Verhandlungen austarierte – Regelung anzupassen.

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