Bundesgericht nickt «Legal Aid»-System des Sport-Schiedsgerichts ab

© CAS (www.tas-cas.org)

(causasportnews / red. / 20. Oktober 2021) Das vom internationalen Sportschiedsgericht CAS (Court of Arbitration in Sport) Lausanne unterhaltene System der Prozesskostenhilfe («Legal Aid», «Assistance judiciaire») stellt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und des Gleichbehandlungsgebots dar. Zu diesem Schluss kommt das Schweizerische Bundesgericht in einem kürzlich ergangenen Urteil (BGer 4A_166/2021 vom 22. September 2021). Zur Vereinbarkeit des Legal Aid-Systems mit dem Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK) äussert sich das Bundesgericht nicht.

Das CAS ist u.a. zuständig für die Behandlung von Berufungen gegen Entscheide, die in Disziplinarangelegenheiten (mittels Vereinsstrafen) gegen Sportler ausgefällt werden (z.B. durch einen internationalen Sportverband oder die Antidopingabteilung des CAS, die CAS ADD). Schiedsverfahren vor dem CAS sind teuer: Gerade in Dopingfällen benötigt ein der Regelverletzung bezichtigter Sportler regelmässig nicht nur die Unterstützung durch einen Rechtsbeistand, sondern auch durch einen oder mehrere wissenschaftliche Experten, die den angeblichen Dopingbefund erklären oder die Theorie der Antidopingbehörde zu entkräften suchen (und dies oftmals mit Erfolg). Im Gegensatz zu den wirtschaftlich potenten Sportverbänden, die jeweils aus vollen (juristischen und wissenschaftlichen) Rohren schiessen können, vermögen sich viele Sportler ein solch aufwändiges Verfahren nicht zu leisten. Das CAS versucht diese Folge abzumildern, indem es ein «Legal Aid»-System errichtet hat, das bedürftige (es sind entsprechende Belege einzureichen) Sportler in Anspruch nehmen können. Dieses System sieht aber nur die Vertretung durch einen pro bono-Anwalt (d.h. der Anwalt oder die Anwältin wird vom CAS nicht entschädigt, auch nicht zu einem reduzierten Tarif) und keine Unterstützung durch wissenschaftliche Experten vor (das CAS übernimmt keine Honorare von wissenschaftlichen Experten).

Dass dadurch in einem konkreten Verfahren eine Ungleichheit zwischen Sportverband und Sportler entstehen kann, liegt auf der Hand. Hiergegen wehrte sich ein professioneller Radrennfahrer, der im Juni 2017/November 2018 zunächst vom Weltradsportverband UCI und anschliessend vom CAS (Schiedsspruch CAS 2018/A/6069 vom 10. Februar 2021) einer Dopingregelverletzung, nämlich der Verwendung von Erythropoetin («EPO»), schuldig befunden worden war. Im Rahmen einer Beschwerde in Zivilsachen (Art. 77 des Bundesgerichtsgesetzes) gegen den Schiedsspruch machte er geltend, das Legal Aid-System des CAS verstosse gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Parteien und den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 182 Abs. 3 und Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG). Auch der Anspruch auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 EMRK (laut dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Sachen Adrian Mutu und Claudia Pechstein auch auf vom CAS durchgeführte Schiedsverfahren anwendbar) werde dadurch nicht respektiert.

Das Bundesgericht sieht dies anders: Die Unterschiede zwischen der vom CAS gewährten Legal Aid und der unentgeltlichen Rechtspflege vor staatlichen Gerichten in der Schweiz – namentlich die Entschädigung von unentgeltlichen Rechtsvertretern durch den Staat und die Möglichkeit der Bestellung von Sachverständigen durch das Gericht – seien nicht als Gehörsverletzung oder Missachtung des Gleichbehandlungsgebots zu qualifizieren. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör oder dem Gleichbehandlungsgebot ergebe sich auch kein Anspruch auf freie Wahl eines Rechtsvertreters bzw. dessen Entschädigung. Das Bundesgericht sieht schliesslich auch kein Problem darin, dass das CAS lediglich Pro bono-Anwälte kenne: Fehlende monetäre Anreize würden nichts daran ändern, dass der Pro bono-Anwalt gegenüber seinem Klienten zur sorgfältigen Mandatsführung verpflichtet sei. Die Wahrung der nach Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG geschützten Verfahrensgarantien setze nicht voraus, dass die sich gegenüberstehenden Verfahrensparteien über gleich grosse Ressourcen für die Prozessführung verfügen würden, so das abschliessende Fazit des Bundesgerichts.

Mit diesem Entscheid hat es das Bundesgericht nach Auffassung von Experten verpasst, die Rechte finanziell schwächerer Parteien in Schiedsverfahren vor dem CAS zu stärken. Dadurch werde eine Chance ausgelassen, die (tiefe) Akzeptanz des CAS namentlich bei den Athletinnen und Athleten zu verbessern. Das CAS hat vordergründig zwar einen weiteren Sieg vor dem Bundesgericht davongetragen. Auf lange Sicht wird das CAS jedoch wohl um eine tiefgreifende Reform seines Legal Aid-Systems aber nicht herumkommen, will es den Anforderungen an ein modernes (Zwangs-) Schiedsverfahren und den Garantien der EMRK genügen.

«Causa Sport» wird in der nächsten Nummer (3/2021; erscheint zum Jahresende) auf das Urteil des Bundesgerichts und seine Auswirkungen zurückkommen.

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