(causasportnews / red. / 28. Juli 2018) Ist das Spektakel auf einem Spielfeld unerträglich, ruft das Publikum auch heute noch: „Aufhören, aufhören!“ – Diese Forderung wäre nun wohl auch angebracht, um den zum „Fall Özil“ emporstilisierten Vorgang um den deutschen Fussballspieler mit türkischen Wurzeln, Mesut Özil, zu beenden. Doch wohl ebenfalls wegen des aktuellen medialen Sommerlochs wird die „Affäre“ weiter gekocht, und auch die als etabliert geltenden Medien können vom Thema nicht mehr lassen. Ellenlange Artikel und Fernsehsendungen zuhauf drehen sich um den Fussballstar, der mit seinem Verhalten dafür sorgt, dass der Sport als Ventil eines ur-gesellschaftlichen und politischen Problems die vielbeachtete Plattform abgibt. Da soll noch jemand insbesondere in Deutschland sagen, Sport und Politik seien voneinander zu trennen. Läuft es in der Politik schlecht, ist der Sport prädestiniert, den Rahmen zu bieten, um die Missstände zu parallelisieren; dies ist dann der Fall, wenn sowohl Politik als auch Sport in der betreffenden Gesellschaft jeweils ein hoher Stellenwert zukommt. Niemand wird bestreiten, dass der politische Zustand in Deutschland einigermassen desolat ist. Es kommt die frustrierende Erkenntnis hinzu, dass an eine Besserung nicht einmal ansatzweise zu denken ist und an Durchhalteparolen („wir schaffen das“) schon gar niemand mehr glaubt. Realistisch gesehen muss demnach konstatiert werden: „Das Kind liegt im Brunnen“. Die Frustrationswelle kann dann leicht auf den im Ansehen hoch anzusiedelnden Sport als Abbild einer selbstbewussten Nation überschwappen, vor allem dann, wenn die Fakten in diesem Bereich undiskutabel sind. So wie um die deutsche Fussball-Nationalmannschaft. Es ist ein Faktum, dass der sportliche Auftritt der Nationalelf an der WM-Endrunde in Russland desolat und ernüchternd war. Statt erwartetem, erneutem Pokalgewinn Katzenjammer, und wie üblich in solchen Situationen danach: Ein Hauen und Stechen und die Frage nach der Schuld. Hätte Deutschland wiederum den WM-Pokal geholt, hätte kein Mensch mehr den Auftritt Özil / Gündogan / Erdogan thematisiert. Doch jetzt müssen die Schuldigen für das sportliche Debakel ausgemacht, vorgeführt und der angemessenen „Bestrafung“ zugeführt werden. So etwa Mesut Özil, der nicht so sehr wegen seiner ungenügenden sportlichen Leistung in der Kritik steht. Oder DFB-Präsident Reinhard Grindel. Ihm wird etwa schlechte Kommunikation vorgeworfen. Niemand moniert jedoch, dass er als oberster Verbands-Verantwortlicher von Mannschaft und Stab schmählich im Stich gelassen worden ist. Schliesslich hat der Mann auch nicht selber gespielt, der Mannschaft und dem Staff jedoch einwandfreie Rahmenbedingungen gewährt. Das alles spielt nach der Pleite der Deutschen in Russland keine Rolle (mehr): Wer verliert, hat alles falsch, wer gewinnt, alles richtig gemacht. Jetzt wird schon mal Reinhard Grindels Kopf gefordert, weil er bei der aktuellen Frust-, Rassismus- und Integrationsdebatte um türkischstämmige Spieler keine gute Figur abgibt. Man würde sich bei diesen Diskussionen um ein politisches Fussball-Thema oft wünschen, Twitter und die neuen Medien wären nie erfunden worden und die Kommentatoren, Fussball-Legenden, die notorischen Besserwisser und die schwatzhaften Politiker und Politikerinnen würden heuer auf einer einsamen Insel ausgiebig und bis auf weiteres Ferien machen. Gesellschaft und Fussball sind jedoch derart verzahnt, dass ein Ende der unsäglichen Debatte nicht abzusehen ist. Sie wird wohl erst abebben, wenn ein paar Köpfe gerollt sind. Irgendwann werden sich die Fussball-Welt und die Gesellschaft wohl auch noch der kaum vermeidbaren Debatte um Wert, Sinn und Unsinn des Nationalmannschafts-Fussballs in der heutigen Zeit stellen – wie sind nationale Antworten auch im Sport auf die globalisierte Welt zu geben? Ist der Nationalmannschafts-Fussball noch haltbar? Glücklicherweise kann sich dieser Fussball-Vorgang, weil er in seiner Problematik lediglich national geprägt ist, nicht noch in einer gewaltsamen Konfrontation zwischen Staaten entladen, so wie vor fast 50 Jahren, als zwischen Honduras und El Salvador eine Woche nach einem WM-Qualifikationsspiel mit Ausschreitungen und Toten ein Krieg zwischen den beiden Ländern ausbrach. Allerdings genügen die derzeit geführten verbalen Auseinandersetzungen auch so: Der seit geraumer Zeit geführte Kampf zwischen den etablierten politischen Koalitions-Parteien einerseits und der Alternative für Deutschland (AfD) ist nun nach der WM-Pleite der Deutschen in Russland auf die sport-politische Ebene gehoben worden. Das alles schützt die anlässlich der WM-Endrunde eingesetzten Spieler und den Trainer vor der realen, portlichen Entlarvung. Ihr Versagen auf und teils neben den Spielfeldern wird augenfällig weder thematisiert noch analysiert. Nach einem sportlichen Scheitern müsste selbstverständlich diese Aufarbeitung im Vordergrund stehen. Steht sie aber nicht. Schlechtes politisches und gesellschaftliches Umfeld sowie sportliche Niederlagen lassen sich in etwa gleich aufarbeiten: Zum Beispiel durch emotionale, unsachliche Ausbrüche aller Art. Nur die Probleme bleiben die alten. Hauptsache, man redet darüber. Aber das reicht jetzt dann allmählich. Also: Aufhören bitte!
Aufhören, aufhören!
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