Der Weltfussballverband FIFA befindet sich in der Agonie. – Dieser Eindruck entsteht nach Sichtung von Medienberichten in den letzten Tagen. Im Nachgang zu den (vorläufigen) Suspendierungen von FIFA-Präsident Joseph Blatter und FIFA-Vize- und UEFA-Präsident Michel Platini überboten sich die Medien mit Schreckensmeldungen, nachdem nun das Objekt aller Angriffe letztlich zur Strecke gebracht worden ist und jetzt der Weltfussballverband als Organisation ins Zentrum des Interesses gerückt. „Der Kollaps der FIFA“ titelte die „Neue Zürcher Zeitung“ einen Tag nach Bekanntwerden der von der FIFA-Ethikkommission verhängten Massnahmen gegen die beiden Top-Funktionäre übergross und in fetten Lettern auf der Frontseite (NZZ vom 9. Oktober 2015), um ein paar Tage später zu vermelden, dass Joseph Blatter ohnehin seit dem 2. Juni 2015 kein Dossier mehr angerührt habe (NZZ vom 12. Oktober 2015). Welchen Stellenwert der Fussball im Weltgeschehen einnimmt, belegen Gewichtungen wie die folgenden: Die Griechenland-Finanzkrise ist kaum mehr präsent, die Menschheit scheint sich an die andere grosse Krise – die Flüchtlingskrise – gewöhnt zu haben, und auch der VW-Skandal vermag kaum mehr zu bewegen. Anders die Vorgänge um die FIFA. Der Weltfussballverband ist das Weltthema Nummer 1. Und nun hat es den Mann, den markantesten Exponenten dieser Institution, erwischt, der partout nicht zurücktreten will; er ist (einstweilen) in seinen Funktionen eingestellt. Die Zürcher „Weltwoche“ (41/2015) hat versucht, eine Antwort zu geben, weshalb die Journalisten derart durchdrehen, wenn ein von ihnen in den Fokus geratener „Bösewicht“ um keinen Preis, geschweige denn freiwillig, ab- oder zurücktreten will (vgl. zur Gesamtthematik etwa Alexander Görlach, Wir wollen euch scheitern sehen, 2014). Jahrelang hat Joseph Blatter diesem Medienmechanismus getrotzt – jetzt hat ihn die hauseigene FIFA-Ethikkommission zur Kapitulation gezwungen. „Er ist der Einzige aus den obersten Führungskreisen dieser Welt, der trotz feindseligster Medienattacken so lange im Amt blieb, wie es ihm beliebt“ – und so die Medienwelt immer mehr in Rage trieb, zog die „Weltwoche“ als Fazit. Real an diesem Szenarium ist (einzig), dass mit dem FIFA-Präsidenten und mit Michel Platini zwei FIFA-Funktionäre aus der Führungsetage der FIFA ausgeschieden sind – ob für immer, wird sich zeigen. Real ist auch, dass trotz dieser Abgänge die operative Leitung der FIFA durch das (verbliebene) Exekutivkomitee gewährleistet ist; denn die Nachfolgeregelung des an der Amtsausübung gehinderten FIFA-Präsidenten ist statutarisch festgeschrieben. Von einem „Kollaps“ der FIFA zu sprechen, ist demnach geradezu absurd; der Realitätsverlust, der dem gesperrten FIFA-Präsidenten durch Journalisten immer vorgeworfen worden ist, scheint nun diese selbst ereilt zu haben. Auch wenn auf der operativen Ebene des Verbands personelle Rochaden erforderlich geworden sind, bleibt die FIFA als juristische Person trotz der Turbulenzen unversehrt, insbesondere auch handlungsfähig. Geradezu surreal sind deshalb die Wertungen der Medien, die ein „kaputtes FIFA-System“ orten und nun eine „harte Hand der US-Justizbehörden“ fordern (NZZ vom 9. Oktober 2015). Dasselbe Medium versteigt sich dann sogar – ein paar Tage später – zur abstrusen Behauptung, die US-Justiz habe faktisch die Führung der FIFA übernommen (NZZ am Sonntag, 11. Oktober 2015). Viele Vorgänge sind im Rahmen der FIFA zumindest für Aussenstehende undurchsichtig. Was die Medien angeht, scheint die „Causa FIFA“ geeignet, zumindest teilweise zum Tummelfeld auch der unsinnigsten Szenarien zu werden.
Reales und Surreales um die FIFA
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