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Citius, altius, fortius – oder darf’s doch ein bisschen langsamer sein?

causasportnews / Nr. 1129/04/2024, 9. April 2024

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(causasportnews / red. / 9. April 2024) Seit im Jahr 1844 Michel Bréal die Schlagworte «citius – schneller, «altius» – höher, «fortius» – stärker, worunter auch «weiter» verstanden wird», als Motto für den Sport der Neuzeit vorschlug und die entsprechende Idee dannzumal auch verabschiedet worden ist, wird dieser trilogische Slogan bei jeder sich bietenden Gelegenheit thematisiert. Zwischenzeitlich hat der amtierende Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOK), Thomas Bach, noch einen draufgegeben: Der Sport soll neben schneller, höher und weiter auch «communiter» (gemeinsam) sein, wobei diesbezüglich die Steigerungsform wohl bewusst weggelassen worden ist; gemeinsamer geht denn doch nicht. Seit 2021 bedeutet der Sport nach dem Willen des höchsten Olympioniken also nicht nur Leistungssteigerung, sondern bildet vor allem eine Wohlfühloase der Menschen, die sich bekanntlich auch ausserhalb des Sportes lieben, achten und schätzen (sollen).

In traditioneller Hinsicht bleibt der Sport jedoch ein Leistungsmessen. Etwa im Radsport. In dieser Sparte ist schneller und schneller angesagt. Oder anders: Wer bremst, verliert. Bremsen ist nicht das Ding des Radstars Mathieu van der Poel. Der Holländer ist bei Radrennen das Mass aller Dinge. Beim Rad-Klassiker von Paris nach Roubaix am letzten Sonntag trat der 29jährige Ausnahmekönner plötzlich unwiderstehlich an und beendete das berühmte Eintagesrennen nach einer 60 Kilometer-Soloflucht als Erster. Er fuhr letztlich schneller (eben citius) als die Konkurrenz; so einfach ist das Erfolgsrezept im Radsport. Doch seit dieser noch jungen Strassen-Saison 2024 ist klar, dass der Radsport immer gefährlicher wird. Furchterregende Stürze, schwere Verletzungen und immer wieder «Massaker auf der Strasse», so beschreiben die Medien den Zustand des aktuellen Radsports. Es hat aber aktuell nicht nur «Mitfahrer» erwischt. Auch Remco Evenpoel, Promoz Roglic und Jonas Vingegaard gehören zu den Sturzopfern, die teils schwere Verletzungen erlitten haben. Der Internationale Radsportverband (UCI), Tour-Organisatoren und Sportler selber sehen nur eine Lösung, um den gefährlich gewordenen Radsport zu entschärfen: Weg vom «citius», will heissen: Verlangsamung der Rennen um jeden Preis. Die Entschärfung von Rennstrecken, etwa durch den Einbau von Schikanen, gestaltet sich aber auf gegebenen Strassen nicht so einfach, wie dies wünschenswert wäre. Das Problem ist letztlich bei den Fahrern selber zu orten, welche immer höhere Risiken einzugehen bereit sind.

Das Geschwindigkeits-Risiko ist nicht nur zum Problem im Radsport geworden. Auch der alpine Skisport erlebte 2023/24 eine geradezu dramatische Selektion von teils Top-Fahrerinnen und -Fahrern durch brutale Stürze und Unfälle. Der Norweger Aleksander Kilde, um nur einen Namen zu nennen, kämpft sich nach einem schweren Rennunfall in Wengen anfangs dieses Jahres zurück an die Spitze; es ist derzeit nicht sicher, ob er künftig und bereits in der nächsten Ski-Saison an seine bisherigen Erfolge wird anknüpfen können. Häufig wie nie mussten im vergangenen Winter Speed-Rennen unterbrochen werden, um Helikopter-Bergungen von schwer gestürzten Fahrerinnen und Fahrern zu ermöglichen. In der kommenden Saison sollen die Speed-Rennen bei den Frauen und bei den Männern nun verlangsamt werden. Freiwillig werden Fahrerinnen und Fahrer keine Konzessionen an die Risikobereitschaft machen.

Im Rad- und im Skirennsport lässt sich das «citius» nicht einfach durch eine Vernunftmaxime ersetzen. Den Akteurinnen und Akteuren müssen wohl durch andere Mittel Grenzen gesetzt werden, um ihre Risikobereitschaft einzudämmen. In beiden Sparten muss es letztlich einfach ein bisschen langsamer werden.

Schneller, höher, weiter – muss es immer schneller sein?

causasportnews / Nr. 1105/01/2024, 30. Januar 2024

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(causasportnews / red. / 30. Januar 2024) Wer derzeit die alpinen Skirennen verfolgt, wähnt sich eher in der TV-Serie «Der Bergdoktor» als an Sportveranstaltungen. Praktisch in jedem Speed-Wettbewerb müssen die Rennen der Frauen und Männer unterbrochen werden, damit der Rettungs-Helikopter mehrheitlich schwer verletzte Fahrerinnen und Fahrer ins nächstgelegene Spital fliegen kann. Die teils furchterregenden Stürze nehmen meist ein schlimmes Ende – nicht wie jeweils das Finale in der TV-Serie mit Hans Sigl. Die Realität auf den Rennpisten und was sich dort zuträgt, ist eben mehr als nur eine Gefühlswelt mit medizinischem Touch am «Wilden Kaiser», sondern oft eine Kombination von Pech, Dramen und Schicksalsschlägen an den Austragungsorten im Rahmen des Ski-Weltcups.

Was ist nur los auf den Speed-Strecken im alpinen Skirennsport? Bilden die schlimmen Stürze und die verheerenden Verletzungsfolgen eine Kumulation von Zufällen? Oder handelt es sich um eine unglaubliche und rational nicht nachvollziehbare Pech-Serie? Über die Ursachen dieser Vorkommnisse wird im Moment gemutmasst und gerätselt. Die Rede ist bei den Analysen der teils gravierenden Unfälle von gehäuften, individuellen Fahrfehlern, von Überforderungen der Skiläuferinnen und -läufer bei diesen Geschwindigkeitsexzessen und von objektiven Gegebenheiten, die sind, aber nicht sein müssten. Da sich die Unfälle ausschliesslich in den Speed-Disziplinen Abfahrt und Super-G ereignen, wird auch die entsprechende Sinnfrage gestellt. Es werden zudem Massnahmen diskutiert, etwa massive Tempo-Verringerungen und die Implementierung von noch mehr Sicherheits-Vorkehren. Für viele Betrachter sind die Rennen, in denen teils weit mehr als 100 Stunden-Kilometer erreicht werden, eine sinnlose Raserei geworden. Dass Stürze in diesen Geschwindigkeitsbereichen in der Regel grosse Verletzungsgefahren implizieren, ist evident. Die Unfälle sind sich wiederholende Tatsachen, die Einwilligungen der Fahrerinnen und Fahrer in das vorhandene Risiko hat nur haftungs- und versicherungsrechtliche Bedeutung.

Der Zufall oder was auch immer will es, dass sich in dieser Phase grausamer Stürze, von welcher auch Top-Fahrerinnen und -Fahrer, wie Aleksander Kilde oder Mikaela Shiffrin direkt betroffen sind, der Todestag einer erfolgreichen Rennfahrerin zum 30. Mal jährt. Am 29. Januar 1994 verstarb die Österreicherin Ulrike Maier beim Abfahrtslauf in Garmisch-Partenkirchen unter tragischen Umständen. Der Verlobte mit der gemeinsamen Tochter mussten sich das Drama um die 27jährige Partnerin und Mutter vor dem Fernsehen anschauen. Die «Unfall-Causa Ulrike Maier» wirkt bis heute nach. Die Tragödie führte zudem zu einem strafrechtlichen Nachspiel. Die beiden FIS-Renndirektoren Jan Tischhauser und Kurt Hoch mussten sich zwei Jahre nach dem Todessturz der Fahrerin vor einem Münchner Gericht wegen fahrlässiger Tötung verantworten; das Verfahren endete mit einem Vergleich. Die beiden Beschuldigten bezahlten je 10’000 Mark an die Bergwacht.- Nicht nur der Skiunfall von Ulrike Maier bleibt in trauriger Erinnerung. Immer wieder schlug danach das Schicksal im alpinen Ski-Rennsport brutal zu. In der aktuellen Unfall-Häufung blieb der Skisport wenigstens vom Schlimmsten verschont. Aber die Ereignisse lassen mit Blick auf die Zukunft Extremes befürchten. Wahrscheinlich können Tragödien in den Speed-Disziplinen nur verhindert werden, falls die Geschwindigkeiten beschränkt werden; schneller, höher, weiter – zumindest schneller muss es nicht immer sein. Spektakel ist auch anderweitig möglich. Aber auch in diesem Zusammenhang bleiben Worte von Ulrike Maier einige Zeit vor ihrem Todessturz haften. Sie sagte einmal in einem Interview, auf die Gefahren im Skisport angesprochen: «Wenn es vorbestimmt ist, dann passiert es. Dem Schicksal kann man sowieso nicht ausweichen.». Auch dreissig Jahre nach ihrem Tod wirkt diese Aussage nach.

Aus der Balance geratenes Sport-Dreigestirn

causasportnews / Nr. 1100/01/2024, 16. Januar 2024

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(causasportnews / red. / 16. Januar 2024) Ob es ein Zufall war, dass das berühmteste, alpine Dreigestirn der Schweiz den Hintergrund abgab für das bedeutendste Ski-Dreigestirn des Landes? Am Lauberhorn stieg vom 11. bis 13. Januar 2024 das mit allen Superlativen bedachte Sport-Event vor der Bergkulisse mit Jungfrau, Mönch und Eiger. In Wengen wurden innerhalb von drei Tagen drei Speed-Rennen abgehalten, und auch wenn der Schweizer Ski-Held Marco Odermatt bewies, dass Siege nur über ihn führen, wurde der Drei-Tages-Event, dem am Sonntag noch der Slalom folgte, zu einer sportlich fragwürdigen Angelegenheit. Jedenfalls wurde das Dreigestirn des Sportes, das Sport, Event und mediale Verbreitung umfasst, regelrecht aus der Balance geworfen.

Sport wurde in Wengen auf höchstem Niveau geboten. Doch war es des Schlechten zuviel? Jedenfalls trübte ein regelrechtes Sturzfestival die Freude an den gebotenen, sportlichen Top-Leistungen. In der Tat war es nicht mehr mitanzusehen, wie in jedem Rennen gestürzte, meist schwer verletzte Athleten mit Helikoptern ins nahe gelegene Spital geflogen werden mussten. Als es in der Abfahrt das norwegische Kraftpaket Aleksander Kilde zusammenstauchte und die Zuschauerinnen und Zuschauer zum dritten Mal in drei Tagen einen Rennunterbruch mit Heli-Flug ins Spital miterleben mussten, schlug dies mehr als nur auf die an sich gute Stimmung des Publikums. Übermüdete Fahrer, welche sich in den Rennen schwer verletzen, ist in der Tat nicht das, was Freude am Rennsport, eine Ideal-Werbeplattform, auslösen soll. Offenbar wurde von den Athleten zuviel abverlangt, die Medien trugen die Negativ-Botschaften in alle Welt, und der als fröhlicher Event gedachte Anlass verkam zum Pflichtkonsum des Publikums, das diesem Sport regelrecht huldigt.

Nun haben die schweren Stürze von Wengen Folgen. Die Athleten bemängeln die Rücksichtslosigkeit und das Gewinnstreben des Internationalen Ski-Verbandes (FIS), nota bene mit Sitz in Oberhofen am Thunersee, 30 Kilometer vom Ort des sportlichen Geschehens vom vergangenen Wochenende entfernt. Der Wettkampfkalender sei zu gedrängt, wird moniert. Die FIS wolle aus wirtschaftlichen Gründen möglichst viele Rennen zur Austragung bringen; die Durchhaltefähigkeiten der Athleten werde ignoriert. Dies sei insbesondere die Philosophie des seit zweieinhalb Jahren im Amt befindlichen Präsidenten, Johan Eliasch, einer der reichsten Briten im Milliardenbereich, dessen oberste Maxime in allen Lebenslagen die Geldvermehrung, auch im Skisport, sei. Der FIS-Präsident setze die Gesundheit der Athleten rücksichtslos auf’s Spiel, meinen die Fahrer, vor allem der Speed-Disziplinen. Unbefangene Betrachter sehen in diesen Wettbewerben immer mehr eine sinnlose Raserei, und die Werbewirtschaft bangt um das hehre Image des Skisports, das mit schwer-verletzten Athleten nicht wirklich den Konsum anzukurbeln in der Lage ist. Die Situation fühlt sich ähnlich an wie früher im Radsport, als gedopte Radfahrer regelmässig tot von den Rädern fielen – ein Super-GAU für die Werbewirtschaft.

Zumindest zwischen Athleten und der FIS ist ein Auffassungsdissens unüberseh- und -hörbar. Geradezu einfältig reagierte die FIS, als Marco Odermatt nach dem Horror-Sturz von Aleksander Kilde die zunehmende Anzahl von Rennen monierte, welche die Gefahr von Verletzungen spürbar erhöhe. An die Adresse des Schweizer Super-Stars gerichtet verlautete aus Oberhofen, Marco Odermatt müsse halt auch bereit sein, einmal auf ein Rennen zu verzichten. Unterschwellig wurde ihm gleichsam Raffgier unterschoben. Die Reaktion des Nidwaldners liess nicht auf sich warten: «Das sind diese Clowns, die das so locker vom Büro aus sagen können und keine Ahnung haben, was das bedeutet». – Wahrlich, Dreigestirns-Harmonie im Sport sieht effektiv anders aus…