Luis Rubiales: Ein «Vier-Augen-Delikt», begangen in der Öffentlichkeit

causasportnews / Nr. 1053/08/2023, 28. August 2023

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(causasportnews / red. / 28. August 2023) Vor rund einer Woche erspielten sich die Spanischen Frauen den Fussball-Weltmeistertitel. Statt der erfreulichen sportlichen Nachlese beherrscht im Nachgang zur Pokalübergabe an die Spanierinnen ein einziges Thema die globale Welt, nicht nur die Sport-Welt: Der Kuss des Verbandspräsidenten Luis Rubiales gegenüber der Spielerin Jennifer Hermoso (vgl. auch causasportnews vom 24. August 2023). Unbestritten ist es zu verurteilen, was der RFEF-Präsident mit seiner Lippen-Kuss-Attacke zum Nachteil von Jennifer Hermoso getan hat; so etwas geht selbstverständlich nicht. Doch die Moralkeulen aus allen Lagern und Ecken wurden nach der Pokalübergabe in Sydney immer heftiger geschwungen. Luis Rubiales muss weg; was ihm vorgeworfen wird, ähnelt Taten, die sonst als in der Regel im Verborgenen verübte «Vier-Augen-Delikte» (Vergewaltigungen, Missbräuche aller Art, sexualisierte Gewalt, usw.) qualifiziert werden. In der «Causa Rubiales / Hermoso» war die ganze TV-Welt Zeugin des Geschehens: Kein Zweifel, Luis Rubiales hat im sportlichen Freudentaumel «seine» Spielerin, wohl eher emotional statt sexistisch motiviert, auf den Mund geküsst. Wer sich die Mühe nimmt, die Szene genau anzuschauen, wird sehen, dass das Vorgefallene mit dem, was die Welt gemeinhin unter «Vier-Augen-Delikten» versteht, nicht zu vergleichen ist. Jennifer Hermoso äusserte sich später nach der Kuss-Attacke so, sie habe sich «verletzlich und als Opfer einer impulsiven, sexistischen und unangebrachten Handlung gefühlt, der sie nicht zugestimmt» habe. Das wird wohl durch die Bilder nicht ganz so bestätigt, weil die Spielerin anlässlich der Kuss-Szene immerhin den Verbandspräsidenten umarmt und mit Körper-Klapsen bedacht hatte. Bei der Beurteilung der Kuss-Attacke lassen sich eher keine Rückschlüsse auf eine Einwilligung der Spielerin in diese präsidiale Emotion, die im besagten Kuss gipfelten, schliessen, jedoch kann wohl offen gelassen werden, ob aufgrund der Umstände von einer konkludenten Einwilligung durch die geküsste Spielerin gesprochen werden kann. Das alles ist im Moment nicht unwichtig, da der Vorfall von Sydney nun die Juristen beschäftigen wird. Schon nach dem WM-Finalspiel und der Pokalübergabe an die Spanierinnen ging das Kesseltreiben gegen den Verbands-Präsidenten der los. Vor allem seitens der RFEF ertönten immer lauter Forderungen nach einem Rücktritt von Luis Rubiales. Dann mischte sich auch die Politik (in den wohlverstanden «apolitischen Sport») ein. Die Spanische Regierung erklärte, sich dafür einsetzen zu wollen, dass der Verbands-Präsident zügig seinen Posten zu räumen hätte. Auch Gewerkschaften mach(t) en Druck, Spielerinnen wollen den Präsidenten weg haben, und unter normalen Umständen wäre dies auch das Ende der Präsidialherrschaft von Luis Rubiales gewesen. Für Ende letzter Woche war eine Rücktrittserklärung des Küssers von Sydney erwartet worden, doch Luis Rubiales zeigte sich, obwohl dem Tod durch die Öffentlichkeit geweiht, störrisch wie ein Stier in einer spanischen Stierkampf-Arena.

Nun wurde der Weltfussball-Verband FIFA in Zürich aktiviert, um den «Schandfleck Luis Rubiales» aus dem Sport zu tilgen. Die Ethik-Kommission, die gemäss Ethik-Kodex unmoralisches Tun, Handeln und Unterlassen im Sinne von Vereinsstrafen (Art. 70 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, ZGB) zu sanktionieren hat, sperrte den Verbands-Präsidenten umgehend weltweit für drei Monate. Weil es schwer fällt, einen Ethik-Tatbestand im FIFA-Ethik-Kodex, der durch Luis Rubiales hätte verletzt werden können, zu eruieren, hat sich die Kommission mit generellen Vorwürfen und den unverbindlichen Generalklauseln beholfen. Dazu zwei Bemerkungen: Die FIFA betont bei jeder Gelegenheit das Apolitische im Sport, blendet aber die starke Einmischung der Spanischen Regierung in diesem Fall aus. Die einstweilige FIFA-Sanktion entspringt natürlich nicht einem Gerechtigkeitssinn in der Zentrale in Zürich, zumal sich in der Sache in Spanien zwei Lager gebildet haben. Das Kontra-Rubiales-Lager im Spanischen Verband kann auf die Lobby am Zürcher Sonnenberg setzen; diese ist mit Spanischen Funktionären, welche nicht gerade als Platzhirsche im Schweizerischen Recht gelten, durchsetzt, weshalb nun unter dem sport-juristischen FIFA-Mäntelchen Sportpolitik gegen Luis Rubiales und seine Gefolgsleute betrieben werden wird. Für den vorläufig für 90 Tagen suspendierten Präsidenten sieht es nicht gut aus, obwohl seine Chancen, gegen die verhängte Sanktion juristisch anzukämpfen, an sich gut wären, aber wohl Theorie bleiben werden. Die FIFA kann sich im Anfechtungsfall zuverlässig auf das verbandslastige Sport-Schiedsgericht Tribunal Arbitral du Sport (TAS) in Lausanne verlassen. Hier gegen die FIFA anzukämpfen ist etwa so nutzlos wie der Todeskampf des Stiers in einer Spanischen Arena…Fazit dieser Geschichte: O tempora, o mores!