
Mesut Özil: Spielt nicht mehr für die deutsche Nationalmannschaft (Bild: Steindy)
(causasportnews / rem. / 23. Juli 2018) Nun ist es also raus: Der Professional-Fussballspieler Mesut Özil hat bekanntgegeben – wie es sich heute für eine Person des öffentlichen Interesses geziemt, über die «sozialen Medien» –, dass er nicht mehr für die deutsche Fussball-Nationalmannschaft zur Verfügung steht. Verbunden mit einer Abrechnung mit dem Verhalten des Deutschen Fussball-Bundes (DFB) im Allgemeinen und dessen Präsidenten Reinhard Grindel im Besonderen, fand sich die entsprechende Mitteilung im dritten Teil einer auf Englisch abgefassten Stellungnahme zum berühmt-berüchtigten Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan vom Mai dieses Jahres. Das Treffen hatte in der Folge in den Medien wie auch bei Sponsoren und in der breiten Öffentlichkeit zu – gelinde formuliert – teilweise «heterogenen» Reaktionen geführt (siehe auch causaportnews vom 16. Mai 2018). In seinen Ausführungen lädt Mesut Özil unter anderem einigen Frust darüber ab, wie mit ihm im Nachgang zur Veröffentlichung von Fotos vom fraglichen Treffen umgegangen worden ist, bekräftigt aber auch, dass er jederzeit wieder so handeln würde, wie er es im Mai getan hat. Das mögen einige abermals als töricht, uneinsichtig, unklug usw. qualifizieren. Bei genauer Betrachtung der Umstände – soweit diese überhaupt bekannt sind oder zu sein scheinen – muss indes konstatiert werden: Letztlich hatte der Spieler überhaupt keine andere Wahl.
Mesut Özil legt in seiner Stellungnahme wortreich unter anderem dar, dass er eben zwei «Herzen» habe, dass er seine türkische Abstammung nicht verleugnen könne und wolle, und dass er für das Treffen nicht wegen der konkreten Person, sondern wegen des Amtes des türkischen Präsidenten zugesagt habe. Und in der Tat ist der letzte Aspekt wohl der entscheidende, der in der kollektiven Hysterie weitestgehend ausgeblendet wurde. Denn es dürfte davon auszugehen sein, dass das fragliche Treffen nicht «einfach so» oder auf Betreiben Mesut Özils hin zustande gekommen ist – nein, die Initianten des Treffens dürften auf Seiten des türkischen Präsidenten zu finden sein. Und ebenso wenig spekulativ dürfte sein, dass Recep Tayyip Erdogan aus dem Treffen (und dessen medialen Verwertung) Kapital für die im Juni 2018 durchgeführten Wahlen in der Türkei schlagen wollte.
Und Mesut Özil? Versetzen wir uns doch mal in seine Lage: Er wird zu einem Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten eingeladen (vielleicht sogar «durch die Blume» dazu aufgefordert). Soll er – kann er – so etwas ablehnen? Das würde voraussetzen, dass er diesbezüglich eine Wahlfreiheit hatte. Die hatte er – bei realistischer, nicht idealistisch verklärter – Betrachtung jedoch schlicht und einfach nicht. Gewiss: Rein «formell» betrachtet, hätte er ablehnen können. Doch die Folgen wären gravierend gewesen – nicht zuletzt in seinem privaten, familiären Umfeld. Also: Nein, faktisch hat er natürlich nicht ablehnen können. Naiv war dabei nicht Mesut Özil; naiv sind diejenigen, die im Nachhinein leichtfertig und lauthals geschrien haben, dass der Spieler «nein» hätte sagen müssen. – Jetzt mal im Ernst: Klar ist Mesut Özil ein Star, klar ist er ein reicher Mann – aber wenn man vom Präsidenten eines Landes, dem man sich eng verbunden fühlt, eine Einladung zu einem persönlichen Treffen erhält, kann man schlicht nicht ablehnen: Das «Gewicht» des Amtes, der Person, ist einfach zu gross (auch gegenüber einem internationalen Fussballstar). Und natürlich wusste Mesut Özil, was für einen Ruf Recep Tayyip Erdogan geniesst. Doch er wusste auch: Wenn er ein Treffen ablehnt, ist er – in seiner Familie, bei seinen Freunden, in der Türkei usw. – «erledigt». Zu verlangen, dass Mesut Özil diesen Preis hätte bezahlen sollen, ist schlicht – um es einmal mehr zu sagen – naiv (und übrigens auch reichlich anmassend). Wie es scheint, wäre wohl eher etwas Empathie angebracht. Denn Fussballspieler mögen jetzt vielleicht nicht durch die Bank «die hellsten Birnen im Kronleuchter» sein, doch Mesut Özil abzusprechen, dass er die Problematik und mögliche Tragweite des fraglichen Treffens nicht gesehen hat (jedenfalls zumindest in Ansätzen), ist sicherlich unzutreffend. Vielmehr dürfte ihm – auch wenn er vom Ausmass des entfesselten «Shitstorms» letztlich vielleicht überrascht worden sein dürfte – sehr wohl geschwant haben, was die Aktion für (unvorteilhafte) Folgen zeitigen könnte. Aber eben: Er hatte, realistisch betrachtet, kaum eine andere Wahl.
Der eigentliche «Bad Guy» war freilich eher der türkische Staatspräsident, der Mesut Özil überhaupt in diese missliche Lage gebracht hat (in Anbetracht dessen, dass sich Recep Tayyip Erdogan durchaus dessen bewusst gewesen sein dürfte, dass Mesut Özil ein Treffen kaum ablehnen konnte, muss vielleicht fast von einer «Instrumentalisierung» des Letzteren durch Ersteren gesprochen werden). Und natürlich dürfte der türkische Präsident antizipiert haben, dass ein solches Treffen Mesut Özil in die Bredouille bringen könnte, doch dürfte ihm das reichlich gleichgültig gewesen sein – er hat ja bereits in ganz anderen Grössenordnungen Skrupellosigkeit bewiesen. Ob Mesut Özil unter diesen Umständen anlässlich des Treffens vom Mai 2018 nun aber tatsächlich auch noch ein Fussballtrikot überreichen musste, mag vielleicht mit Berechtigung kritisch hinterfragt werden. Abgesehen davon ist – und war – der Fussballspieler in dieser Sache aber eindeutig der falsche «Prügelknabe».
Zusätzlich bedauerlich ist, dass diese Hintergründe und Zusammenhänge offenbar auch beim DFB nicht erkannt worden sind (oder nicht erkannt werden wollten bzw. adäquat kommuniziert werden konnten). Eine differenzierte, ein gewisses Verständnis für die missliche Lage von Mesut Özil aufbringende Stellungnahme aus Frankfurt hätte sicherlich nicht geschadet. Vor allem im dritten Teil seiner im Internet publizierten Erklärung wirft Mesut Özil insbesondere DFB-Präsident Reinhard Grindel vor, eine eigene «politische» Agenda verfolgt zu haben, und spart auch sonst nicht mit – teilweise durchaus schwerwiegenden – Unterstellungen von Diskriminierungen und Rassismus. Ungeachtet dessen, ob dies begründet ist: Hier scheint Mesut Özil sich dann doch vom Frust und von seinen übrigen Empfindungen zu der einen oder anderen etwas überzogenen Äusserung hinreissen gelassen zu haben, die u.U. noch rechtliche Konsequenzen haben könnte…