causasportnews / Nr. 1103/01/2024, 25. Januar 2024

(causasportnews / red. / 25. Januar 2024) Ab und zu muss in Erinnerung gerufen werden, was man vor Gericht bekommt: Nicht Gerechtigkeit, sondern ein Urteil; manchmal deckt sich der Urteilsinhalt mit den Gerechtigkeitsvorstellungen. Im nachfolgend geschilderten Fall dürfte dies allerdings nicht der Fall sein.
Nun ist es unbestritten, dass auf und neben Fussballplätzen alles ein bisschen anders ist und es in diesen Sphären oft ein wenig rauer zu und hergeht als vielleicht in einem Priesterseminar oder einem Töchter-Institut. Jedenfalls war die Stimmung in jenem Mai 2019 einigermassen aufgeheizt, als die Challenge League-Mannschaften des FC Schaffhausen und des FC Winterthur in der «Eulachstadt» (Winterthur, genannt nach dem Fluss «Eulach» als Nebenfluss der Töss) aufeinander trafen. Vor allem die Schaffhauser Anhänger legten eine gewisse Militanz an den Tag und verhielten sich recht aggressiv und provokativ. Es wurden auf den Zuschauer-Rängen auch diverse Transparente entrollt, die es in sich hatten. Auf einem dieser Banner war zu lesen: «Winti Fraue figgä und verhaue» (also: Winterthurer Frauen ficken und zusammenschlagen). Gegen sechs Urheber dieser Aktion, heute zwischen 24 und 30 Jahre alt, wurde Anklage wegen der Aufforderung zu Gewalt an Frauen erhoben. Wie zuvor das Bezirksgericht Winterthur sprach nun das Obergericht des Kantons Zürich auf Berufung der Staatsanwaltschaft hin die sechs Fussball-Aktivisten vom Vorwurf des Gewaltaufrufs gegen Frauen frei. Es sei alles nur eine Provokation gewesen, qualifizierten das Gericht die Handlungen der Angeklagten.
Die Urteile haben nicht einmal zu grossen Diskussionen geführt. In einer ausser Rand und Band geratenen Gesellschaft in einem Staat, der Gewalt als Unterhaltung geradezu fördert (ein Beispiel gibt der «Tatort» ab, der jeweils an Sonntagabenden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vor Rekord-Zuschauerkulissen gezeigt und in dem Gewalt jeglicher Art geradezu als Normalzustand bagatellisiert wird), ist es selbstverständlich nicht Aufgabe der Justiz, den Umgang der Menschen miteinander mit dem Mittel des Strafrechts zu optimieren. Dass es auf Fussballplätzen und drumherum etwas deftiger zu und hergehen darf als anderswo, erhellt nach dem Urteil der zweiten Strafinstanz im Kanton Zürich. Mit Fug und Recht lässt es sich fragen, ob die unmissverständliche Aufforderung, Frauen letztlich zu vergewaltigen und in ihrer physischen und psychischen Integrität zu verletzen, als, zwar geschmacklose, Provokation noch zu rechtfertigen ist. Erschwerend kommt wohl hinzu, dass die Aufforderung in Schriftform erfolgte und nicht nur das Ergebnis einer aktuellen, verbalen Entgleisung war. Der vom Obergericht des Kantons Zürich entschiedene Vorgang auf der Winterthurer «Schützenwiese», der an sich keine Alternativ-Interpretationen zulässt, war offenbar nicht dazu angetan, ein Exempel zu statuieren. An eine spezial- und general-präventive Wirkung von Strafurteilen hat am Zürcher Hirschengraben, am Sitz der zweiten Instanz des Kantons Zürich, offensichtlich ebenfalls niemand gedacht. Dass das Gericht die Aktion in Winterthur mit Anti-WEF-Transparenten verglich, war zumindest speziell. Wahrscheinlich hat die Anklagebehörde (Staatsanwaltschaft) nun wenig Lust, auch noch am Schweizerischen Bundesgericht eine weitere juristische Pleite zu erleben. Es ist ihr nicht zu verargen. Am Obergericht wurde der Staatsanwaltschaft geradezu verhöhnt, und ein Verteidiger empfahl dem Ankläger den Besuch eines Fussballspiels, damit er «es» auch begreife, nämlich, dass die Fussballwelt eben auch eine andere geworden sei.

