Ein Aufschrei, ein Schrei, ein Kuss, und noch ein Kuss

causasportnews / Nr. 1126/03/2024, 31. März 2024

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(causasportnews / red. / 31. März 2024) Seit der Kuss-Attacke des ehemaligen Spanischen Verbandspräsidenten Luis Rubiales gegenüber der frischgebackenen Weltmeisterin Jennifer Hermoso anlässlich der Siegerehrung nach dem gewonnen Fussball-WM-Titel des Spanischen Frauen-Teams im letzten Sommer gehen die Wogen deswegen immer noch hoch. Sobald in der persönlichen Demontage des ehemaligen Top-Funktionärs des Spanischen Fussballs ein weiterer Schritt erfolgt, schreit die Öffentlichkeit erneut auf: Es geht in Richtung: «Kreuzigt ihn». Ja, was hat er denn getan? Sicher nicht nichts, und die Tat des Spanischen Fussball-Machos’ ist grundsätzlich nicht zu entschuldigen. Sie gehört verurteilt und sanktioniert, doch jetzt wäre man allmählich geneigt zu fordern: «Lasst es nun gut sein». Doch es geschieht das Gegenteil. Luis Rubiales wird wohl im laufenden Strafprozess nach dem Kuss-Skandal im Gefängnis für sein Tat büssen. Die Anklagebehörde hat zweieinhalb Jahre Haft wegen sexueller Aggression gefordert sowie die Bezahlung einer 50’000 Euro-Entschädigung an die betroffene Spielerin. Vorgeworfen wird ihm zudem, dass er (mit Dritten) die geküsste Spielerin dergestalt unter Druck gesetzt habe, dass der Kuss nicht gegen ihren Willen, sondern einvernehmlich, erfolgt sei. Der bald 47jährige Ex-Funktionär, der bereits alle Fussball-Funktionen und Reputationen verloren hat und auch gesellschaftlich erledigt ist, büsst für sein Verhalten hart. Die Frage, ob diese zivil- und strafrechtliche Sanktions- und Bestrafungskampagne gegenüber dem Ex-Funktionär noch verhältnismässig ist, lässt der gesellschaftliche Mainstream nicht zu. Der Aufschrei seit der Tat ist flächendeckend anhaltend und wird nicht so rasch verstummen. Ob Luis Rubiales beim Sturm, der nach wie vor über ihn fegt, sich im berühmten Gemälde «Der Schrei» von Edvard Munch wiederkennt, ist nicht bekannt. Er ist weder Maler noch Sänger und muss wohl einfach einstecken und individuell und alleine seine Tat verarbeiten und erkennen müssen, dass ein derartiger Kuss in der heutigen Zeit ungeahnte Folgen zeitigen kann. Wenn er das Rad der Zeit nur ein paar Jahrzehnte zurückdrehen könnte, z.B. ins Jahr 1979! Da sorgte zwar ein besonderer Kuss für Schlagzeilen, doch weil der Welt-Kommunismus schon damals (wie heute) alle Taten und Aktionen legitimiert(e) und das Geschehene zwischen zwei Männern natürlich einvernehmlich erfolgte, zum Wohl einer gleichgeschalteten und gerechten Welt selbstverständlich, wird jene Aktion rein politisch-historisch betrachtet, oder avantgardistisch mit Blick auf moderne, gesellschaftlich Anschauungen.

Die Rede ist vom sozialistisch, kommunistisch motivierten Bruderkuss zwischen dem DDR-«Oberindianer» Erich Honecker (wie der Apparatschik aus dem Osten vom Rocksänger Udo Lindenberg in seinem Stück «Sonderzug nach Pankow» besungen wurde) und dem Sowjet-Generalsekretär, Leonid Breschnew. Der Kuss erregte zwar Aufsehen (auch wenn sich gewisse Menschen dadurch angewidert fühlten), aber letztlich wurde diese Szene mit zwei Männern, die sich zum Wohle des Kommunismus’ innig auf den Mund küssten, Kult. Er wurde entsprechend legitimiert. Das Presse-Photo von Régis Bossu, das damals um die Welt ging, erreichte perpetuiert in zahlreichen Facetten und Erscheinungen den Nimbus eines Welt-Kunst-Phänomens, ähnlich wie Edvard Munchs «Schrei» um 1900 herum.

Ein Kuss ist eben nicht einfach ein Kuss. Die juristische Aufarbeitung der Kussattacke von Luis Rubiales zeigt es: Entscheidend ist bei einem Kuss in der Öffentlichkeit einzig die Motivation und der Grund, welcher der Aktion zu Grunde liegt, und nicht der Kuss an sich, vor allem, wenn das Element der Einvernehmlichkeit nicht gegeben ist. Die Befriedigung von niedrigsten Gelüsten und Machtausübung, wie sie beim Kuss des Ex-Fussball-Präsidenten vermutet wird und durchwegs als bewiesen gilt, gehört definitiv nicht dazu. Erich Honecker und Leonid Breschnew küssten zum Wohl der Welt einvernehmlich, Luis Rubiales benahm sich als Vertreter der Macho-Kultur in Spanien schweinisch-männlich und egoistisch; deshalb gehört er ans Kreuz. So einfach ist das.