Schlagwort-Archive: Alpinismus

Die Umstände eines Bergtodes als Abbild der aktuellen Gesellschaft

causasportnews / Nr. 1046/8/2023, 12. August 2023

Photo by Balaji Srinivasan on Pexels.com

(causasportnews / red. / 12. August 2023) Der Bergsport in seiner exzentrischsten Dimension, der vorwiegend in der «Todeszone», im Bereich von über 8000 Höhenmetern, stattfindet, ist in den letzten Jahren regelrecht entartet, oder wie es das Urgestein des Extrem-Alpinismus’, der Südtiroler Reinhold Messner, sieht: «Das ist nicht mehr Alpinismus, sondern Tourismus». Was die Welt in unseren Niederungen, nicht zuletzt dank der neuen Medien, mitbekommt, wenn es um die Besteigung vor allem der höchsten Berge der Welt geht, ist in der Tat eindrücklich und bedrückend zugleich: Die Rede ist von begüterten Menschen, die sich, aus welchen Gründen auch immer, von Helfern auf die markantesten Gipfel der Welt schieben lassen, oder von Agenturen, welche «Kunden» jedwelcher Couleur meistens gegen viel Geld vor allem mit der Hilfe von Sherpas, die durchwegs schamlos ausgebeutet werden, die Erklimmung des Mount Everest (8848 Meter ü. M.), des Mount Godwin Austen (K2; 8610 Meter) oder des Kangchendzönga (8586 Meter) ermöglichen. Die Besteigung dieser und weiterer Gipfel in der «Todeszone» geht einher mit Dramen, Tragödien und Todesmärschen in Eis, Schnee sowie bei Winden und Stürmen. Der pervertierte Alpinismus, der also zum Tourismus verkommen ist, beschert den Daheimgeblieben auch immer wieder kaum für möglich gehaltene Bilder, etwa die berühmt gewordene «Stau»-Aufnahme unter dem Gipfel des Mount Everest (vgl. Titelbild von Causa Sport 3/2019 – causasportnews vom 28. Mai 2023).

Wenn Bilder sprechen, wird alles noch nachvollziehbarer. So verhält es sich aktuell mit dem Tod des pakistanischen Trägers Mohammed Hassan, bzw. mit den Umständen dieses Todes. Video-Aufnahmen zeigen den Mann, der auf dem Weg zum Gipfel des K2 stürzte und ums Leben kam. Dieses Faktum alleine könnte noch als Folge des am Berg eingegangenen Risikos qualifiziert werden; wer in der «Todeszone» unterwegs ist, hat auch das Sterben einzukalkulieren. Doch was sich an der Unfallstelle abspielte, war nicht nur dramatisch und entsetzlich, sondern geradezu surreal. Bergsteiger passierten die Unfallstelle des noch lebenden Pakistaners (dieser stürzte ein paar Meter ab und wurde dann von seiner Seilschaft wieder in die Spur gezogen), überstiegen ihn, den zum Hindernis gewordenen Sterbenden, gleichsam, um raschmöglichst auf den Gipfel des K2 zu gelangen. Um den Sterbenden kümmerte sich keiner. Der Träger im Todeskampf war einzig ein Hindernis für die Berggänger, welche in diesem Moment über eine Fast-Leiche gingen, um ihre persönlichen Ziele zu erreichen und die Besteigung des K2 frenetisch – unempathisch – bejubelten. Im Nachhinein hat sich nun eine Diskussion entwickelt, ob der qualvoll Verstorbene hätte gerettet werden können – nicht, ob er hätte gerettet werden müssen. Ethik am Berg ist etwa so skurril wie der Einsatz von Weihwasser gegen alles Teuflische. Jetzt wird das Thema, wie üblich in der heutigen Zeit, auf eine juristische Ebene verlagert: Die pakistanischen Behörden haben Untersuchungen aufgenommen. In den Medien wird hauptsächlich diskutiert, ob es – theoretisch – drei, vier oder sechs Leute gebraucht hätte, um den regelrecht krepierenden Mohammed Hassan zu retten.

Der Bergsport, der eben nach Meinung von Reinhold Messner zum Bergtourismus mutierte, ist wohl, wie dieser aktuelle Fall belegt, ein Abbild, wie die heutige Gesellschaft funktioniert. Zwar wird Betroffenheit markiert, die Welt findet ein solches Vorkommnis erschütternd, schockierend, dramatisch und empörend, aber auf einen Nenner gebracht ist dieses Fazit zu ziehen: Eigeninteressen und Egoismus überlagern alle übrigen Untugenden und Werte. So gesehen sind die Umstände des Todes des pakistanischen Trägers, der inmitten von Bergsteigern auf rund 8300 Metern über Meer am K2, rund 300 Meter unterhalb des Gipfels starb, und auch Opfer des egoistischen Verhaltens der Mit-Bergsteiger wurde, nichts Aussergewöhnliches. Wie die Reaktionen der Betroffenheits- und Empörungsgesellschaft zeigen.

Vor einem Jubiläums-Stau am Mount Everest

causasportnews / Nr. 1020/05/2023, 28. Mai 2023

(causasportnews / red. / 28. Mai 2023) Der Pfingstmontag, 29. Mai 2023, wird, je nach Sichtweise, ein ganz spezielles Datum für den Alpinismus, den Bergsport oder den Berg-Tourismus sein. Vor genau 70 Jahren standen erstmals zwei Menschen auf dem Dach der Welt, auf dem 8849 Meter hohen Gipfel des Mount Everest. Der Neuseeländer Edmund Hillary (verstorben 2008) und der Nepalese Tenzing Norgay (verstorben 1986) sorgten für eine alpinistische Sensation um den höchsten, wenn auch klettermässig nicht schwierigsten Berg der Welt. Seit dieser Erstbesteigung rankten sich in der Folge Mysterien, Mythen und Märchen um die höchste Erhebung der Welt, vor allem bezüglich der sog. «Todeszone» (über 8000 Meter ü. M.). Ein Geheimnis, das nie gelüftet werden dürfte, ist die Kernfrage um die Erstbesteigung an jenem denkwürdigen 29. Mai 1953: Wer von den beiden Pionieren des Alpinismus, die an jenem Freitag im Mai ganz oben auf dem Gipfel des Mount Everest standen, befand sich zuerst auf dem Gipfel? War es der Leader des Zweier-Teams, Sir Edmund Hillary, oder waren es der Neuseeländer und der Nepalese örtlich und zeitlich gemeinsam, welche quasi Hand in Hand ihre Kletterschuhe auf den höchsten Punkt der Erde setzen? Dass es der berühmteste Sherpa der Welt war, der effektiv zuerst oben ankam, gilt als unwahrscheinlichstes Szenario. Für die Südtiroler Bergsteiger-Ikone Reinhold Messner, der 1978 mit dem Österreicher Peter Habeler den Everest erstmals ohne Sauerstoffmaske bestieg, ist das alles nur ein sinnloses «Kaffeesatz-Lesen». Ob 1953 der Neuseeländer oder der Nepalese miteinander oder eine Sekunde nacheinander über die Nepal-Südroute auf dem Gipfel ankamen, sei bergsteigerisch so irrelevant wie die Frage, ob zuerst das Huhn oder das Ei war.

Auch heute, 70 Jahre nach der Erstbesteigung, hat der Berg der Berge, an dem seit 1921 318 Menschen, 231 beim Aufstieg, 87 beim Abstieg, ihr Leben verloren, nichts von seinem Nimbus verloren. Das zeigte im Zeitalter des kommerziellen Alpinismus’ eindrücklich das Bild vom Stau unter dem Everest Gipfel, das «Causa Sport» im Jahr 2019 als Cover verwendete («Causa Sport» 3/2019). Die Zeiten haben sich geändert. Versuchten es nach der Erstbesteigung weitere Alpinistinnen und Alpinisten, den längst verwehten Spuren von Edmund Hillary und Tenzing Norgay zu folgen, prävalierte in den letzten Jahren immer mehr das Geschäft am Berg. Expeditionen zuhauf versuchten, immer mehr auch zahlende Kunden auf das Dach der Welt zu bringen – mit wechselhaften Erfolgen. Immer noch relativ wenige Menschen, weit mehr Männer als Frauen, schaffen es, oben auch anzukommen, auch wenn sich unterhalb des Gipfels immer wieder gigantische Staus am Berg und vor allem am «Hillary Step» auf 8790 Metern Höhe bilden, was für die ganze Welt aufgrund von 2019 entstandenen Aufnahmen eindrücklich dokumentiert wurde. Wer es am Everest bis zur Felsstufe, dem legendären «Hillary Step», die in Würdigung des Erstbesteigers so genannt wurde, schafft, hat gute Chancen, danach auch den Gipfel zu erreichen. Doch auch die dunklen Seiten der Aktivitäten am berühmtesten Berg der Welt können nicht ausgeblendet werden. Im Schnitt sterben acht Menschen jährlich am Mount Everest. Bis auf eine Höhe von 7000 Metern fordern vor allem Lawinenniedergänge Opfer, weiter oben sind Sturzfolgen die Haupt-Todesursache. Oft brechen Besteigerinnen und Besteiger zudem an Erschöpfung zusammen. Der Andrang am Berg, der heuer im Jubiläumsjahr alle Rekorde brechen wird, ist in den letzten Jahren immer intensiver geworden. Reinhold Messner, der als erster Mensch alle 14 Berge der Welt ohne künstlichen Sauerstoff bestiegen hat, schätzt die Phänomene wohl realistisch ein: Am Everest gehe es nicht mehr um Alpinismus, sondern um kommerziellen Tourismus, sagt der bekannt exzentrische, 78jährige Italiener, der auf Schloss Juval im Vinschgau in der Nähe von Meran weitgehend als Selbstversorger lebt. Wie auch immer. Es ist damit zu rechnen, dass im Jubiläumsjahr 2023 die Marke von 1000 Alpinistinnen und Alpinisten, welche das Dach der Welt erreichen, geknackt werden dürfte – so ist auch der Jubiläums-Stau am Everest vorprogrammiert.