Wut, Mitleid und Atypisches – die Facetten des Fussballs

causasportnews / Nr. 1139/05/2024, 9. Mai 2024

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(causasportnews / red. / 9. Mai 2024) Es war zwar nur ein Fussballspiel. Aber immerhin; und es wird nicht so rasch in Vergessenheit geraten. Das Halbfinale der Champions League zwischen dem Club de Futbol Real Madrid und dem FC Bayern München hatte es, vor allem in der Schlussphase, in sich. Natürlich behielten die Spanier letztlich das bessere Ende für sich, doch ein konventioneller Abschluss einer hochstehenden Begegnung zwischen zwei Top-Teams war das nicht. Der Sieg der Königlichen kann nicht als gestohlen bezeichnet werden, und vor allem wurde das fussballerische Bonmot bestätigt, dass man das Team von Carlo Ancelotti vor allem in der Endphase eines Fussballspiels nie abschreiben darf. Real Madrid verfügte letztlich über mehr Glück des Tüchtigen, während der FC Bayern München an sich selber, an den Umständen und an Schiedsrichter Szymon Marciniak scheiterte. Schiedsrichter eignen sich in der Regel nicht zu authentischen «Sündenböcken», aber der 43jährige Mann aus Polen, der u.a. den WM-Final 2022 in Katar zwischen Argentinien und Frankreich leitete, war in der letzten halben Stunde dieses Spiels völlig von der Rolle. Man hatte nicht das Gefühl, dass der Unparteiische (sic!), der zum inneren (Macht-)Zirkel des UEFA-Präsidenten Aleksander Ceferin gehört, die minimalsten Fussballregeln beherrschen würde. Völlig irre erteilte er Anweisungen, verwarnte empathielos den bemitleidenswerten Bayern-Coach Thomas Tuchel und war zum Ende der Endphase partout nicht bereit, das Spiel abzupfeifen. Eine Nachspielzeit von einer Viertelstunde (!) in einem Fussballspiel – das gibt es, aus welchen Gründen auch immer, wohl nur in Polen. Der Mann brachte es allerdings fertig, das VAR-System (VAR = Video Assistent Referee) ad absurdum zu führen: Wenn man früh genug pfeift und bevor sich eine umstrittene Szene einstellt, bleibt kein Platz mehr für den umstrittenen VAR! Mit grosser Wahrscheinlichkeit war der Mann nüchtern, aber irgendetwas dürfte im Spiel gewesen sein, was Szymon Marciniak zur unkontrollierten Rakete werden liess. Ein Spitzen-Referee ist nämlich an sich und objektiv gar nicht in der Lage, ein derart hochklassiges Spiel zu zerpfeifen und so zu zerstören. So kam es, dass am Schluss verständlicherweise die Wut des FC Bayern die Szene beherrschte. Da prävalierte jedoch auch das Mitleid, das vor allem dem sensationellen Bayern-Torhüter Manuel Neuer galt. Er machte an diesem Abend in Madrid alles perfekt richtig, patzte aber zumindest bei einem Tor und fühlte sich wohl wie Oliver Kahn damals, 2002 im Finalspiel Deutschlands gegen Brasilien. Ein Torhüter kann alles richtig machen in einem Spiel. Wenn er jedoch (nur einmal) patzt, bleibt ihm bestenfalls das Mitleid.

Das Spiel in Madrid war aber auch eine Begegnung mit den Atypizitäten. Was die Spieler anbelangte, bewahrheitete sich wieder einmal das Schlagwort, dass Geld eben doch Tor schiesst. Auf diesem Niveau sind Fussballspiele Begegnungen zwischen Millionarios in kurzen Hosen – und das ist richtig so. Nicht gerade zu den Armengenössigen gehören die Trainer, welche trotz intensivem Kaugummi-Konsum (Carlo Ancelotti) und emotionalen Eruptionen zuhauf (Thomas Tuchel) authentische Akteure am Spielfeldrand bleiben. Apropos Trainer Thoms Tuchel, unbestrittenerweise ein Top-Trainer: Auch er profitierte in Madrid vom Mitleid-Bonus. Der vom FC Bayern-Management menschenverachtend demontierte Fussballlehrer, der mit gekündigtem Arbeitsvertrag nach Madrid reiste, konnte einem leidtun. Das gibt es wohl nur im Fussball, dass ein bereits in die Wüste geschickter Trainer mit seiner Mannschaft um den Einzug ins Champions League – Finale kämpft! Wäre es nach den Regeln der fussballerischen Atypizität gegangen, wäre Thomas Tuchel bereits in diesem Halbfinalspiel in Madrid nicht mehr dabei gewesen. Der Coach, der in wenigen Wochen den FC Bayern München verlassen muss, hätte längst einem Nachfolger auf der Trainerbank Platz machen müssen. Aber wer will schon diesen Schleudersitz-Posten in München übernehmen und sich den Erniedrigungen seitens der Chefs des FC Bayern München aussetzen? Dass den Trainer-Job in München niemand übernehmen will, hat auch mit dem Fachkräftemangel in der Branche rein gar nichts zu tun. Es wird sich auch kaum ein Spitzen-Trainer nach München locken lassen, wenn man ihm etwa die Job-Ausübung aus dem Homeoffice verspricht – natürlich um den unsäglichen Vereins-Protagonisten Uli Hoeness & Co. auszuweichen. Apropos Uli Hoeness: Das Ende dieses Vertreters des Steinzeit-Fussballs ist abzusehen.