Die Ratlosigkeit nach dem EuGH-Urteil in der «Causa Superliga»

causasportnews / Nr. 1093/12/2023, 25. Dezember 2023

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(causasportnews / red. 25. Dezember 2023) Wie oft, wenn brisante Gerichtsentscheide mit Bezug zum organisierten Sport bekannt werden, herrscht die totale Ratlosigkeit. So hat jüngst in einer sport-politischen Angelegenheit der Europäische Gerichtshof in Luxembourg (EuGH) ein Urteil erlassen (causasportnews vom 21. Dezember 2023). Darin geht es selbstverständlich weniger um die von verschiedener Seite thematisierte Gerechtigkeit (diese erhält man von einem Gericht nicht immer, sondern die Betroffenen müssen sich schlicht mit einem Urteil begnügen, das allenfalls mit dem Gerechtigkeitsempfinden der einen oder anderen Partei in Einklang zu bringen ist oder auch nicht); es herrscht vielmehr ein Chaos in den Köpfen und entsprechende Ratlosigkeit.

Was nun im Nachgang zum Urteil des EuGH in der «Causa Superliga» kommentiert, gescholten und gefordert wird, lässt sich etwa mit dem vergleichen, was sich nach der Entscheidung des EuGH in der Sache Jean-Marc Bosman, die am 16. Dezember 1995 vom gleichen Gericht verkündet wurde, ereignete. Die Einschätzungen gingen damals von «das kümmert uns nicht» (FIFA/UEFA), bis zur ins Feld geführten «Apokalypse des Verbandsrechts» (Gegner des Fussball-Verbands-Monopols). Was sich nach jener Entscheidung zutrug (für die Verbände hiess dies: dura lex sed lex – ein hartes Gesetz, aber es ist das Gesetz), war für den organisierten Fussballsport letztlich einschneidend. Das damalige Transfer-System kollabierte und musste im Sinne der Gerichts-Entscheidung neu organisiert und angepasst ins Verbands-Regelwerk implementiert werden. Die Verbände hatten in jedem Fall im wichtigen Transferwesen ihre Unschuld verloren.- Und wie verhält es sich aktuell in der «Causa Superliga»?

Faktum ist, dass der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens auf Ersuchen des zuständigen Madrider Handelsgerichts das Verhalten (Sanktionsandrohungen) der Monopolverbände UEFA und FIFA bezüglich der «Superliga»-Pläne unter europarechtlichen Vorgaben beurteilt hat und zum Schluss gekommen ist, diese Verbände würden den Markt für Fussballwettbewerbe kraft ihrer Monopolstellungen missbrauchen. Die Verhinderung eines Konkurrenzproduktes zu den etablierten Wettbewerben der Monopol-Verbände verstosse missbräuchlich gegen das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union (EU). Nicht entschieden wurde die Frage, ob die klagende European Superleague Company eine «Superliga» ausserhalb des Wirkungs- und Kompetenzbereichs der Monopolverbände veranstalten könne. Falls eine solche Liga Tatsache würde, wäre es möglich, dass die in Luxembourg beklagten Verbände ein Genehmigungsverfahren für die «Superliga» vorsehen dürften. Im Rahmen dieses Verfahrens könnten von Verbandsseite kohärente Argumente gegen diese Liga vorgebracht werden, z.B., die Spieler und Klubs seien mit einem zusätzlichen Wettbewerb und (noch) mehr Spielen überfordert und überlastet (das wäre allerdings tatsächlich ein schwaches Argument, zumal UEFA und FIFA seit Jahren bestrebt sind, ihre Wettbewerbe und Turniere aufzublähen und nicht daran denken, etwa die unsägliche Klub-Weltmeisterschaft der FIFA, die, Ausgabe 2023, soeben in Saudi-Arabien zu Ende ging und kaum von jemandem wahrgenommen wurde, abzuschaffen).

Der Vorgang nach der Verfahrensniederlage von UEFA und FIFA in Luxembourg geht nun vielmehr am Madrider Handelsgericht in die juristische Verlängerung. Wird es also allenfalls einmal eine Europäische «Superliga» geben, dürfen die Monopolverbände die an diesem Wettbewerb teilnehmenden Klubs und Spieler nicht behindern, z.B. durch Ausschlüsse aus dem UEFA-Spielbetrieb. Ein solches Verbot ist ein Missbrauch der Marktposition der Monopol-Sportverbände.

Das Ergebnis der EuGH-Entscheidung ist trotz allem und so oder so eine sport-juristische «Bombe», welche das Monopol der Verbände gebrochen hat. Der Vorwurf des Missbrauchs einer Marktposition seitens des Gerichts an die Adresse von UEFA und das FIFA ist ein Vorhalt, der auch andere Bereiche des organisierten Fussballs treffen könnte. Das höchste EU-Gericht hat ein konkretes Urteil erlassen, das den Monopol-Verbänden Schranken aufzeigt, nämlich, dass sie im konkreten Fall und zudem allgemein ihre marktbeherrschende Stellung nicht missbrauchen dürfen, nur um ihre Monopol-Stellungen zu zementieren.

Die Reaktionen der UEFA auf die EuGH-Entscheidung (die FIFA blieb mit Äusserungen im Hintergrund) waren, wie schon damals im «Fall Jean-Marc Bosman», überheblich, zynisch und zudem blutleer. Es dominierte das Unverständnis mit Frustrationspotential, dass sich ein Gericht derart erdreisten konnte, die Autonomiebereiche der Verbände krass aufzuweichen und die Verbands-Monopole bröckeln zu lassen. Pikanterweise war von keinem Fussball-Funktionär oder von keinem der kommentierenden Juristen innerhalb und ausserhalb der UEFA nur ein Argument gegen den Inhalt der EuGH-Entscheidung zu vernehmen. Es dominierte schlicht die Ratlosigkeit. Wahrscheinlich war die Urteilsbegründung auch zu anspruchsvoll, um dagegen zu halten. Bemerkenswert blieb jedoch der Umstand, dass das Gericht den Anträgen des Generalanwaltes weitgehend nicht folgte, was den Schluss zulässt, dass sich die Rechtslage nicht ganz unumstritten und ebenso nicht absolut glasklar präsentierte.

So blieb im unmittelbaren Nachgang zur EuGH-Entscheidung, dass sich die Kommentare und Diskussionen hauptsächlich mit dem Sinn oder Unsinn der Europäischen «Superliga» befassten; die Urteilsbegründung an sich blieb kommentar-frei. So «analysierte» der Zürcher «Tages-Anzeiger» den EuGH-Entscheid so: «Es reicht! Eine Champions League ist schon mehr als genug» (22. Dezember 2023); fürwahr eine aussagekräftige Analyse mit Blick auf das Urteil… Der eher hemdsärmelige Präsident des FC Zürich äusserte sich über die «Schnapsidee» in der Zeitung «Blick» wie folgt: «Das Super-League-Projekt ist absurd, weltfremd und chancenlos.» (23. Dezember 2023). – Vielleicht werden die Kritiker des Projektes ausserhalb der Verbands-Monopole in ihren Äusserungen dereinst bestärkt. Aber unter Umständen kommt alles ganz anders. Etwa dann, wenn Saudi-Arabien zum Dreh- und Angelpunkt dieses Wettbewerbs ausserhalb der Verbände werden sollte, auch wenn in diesem Land die FIFA-WM-Endrunde 2034 gespielt werden dürfte. Im Fussball entscheidend für alles ist letztlich das Geld; und eine neue Fussball-Spielwiese für die arabische Welt ist zumindest denkbar. Wüstenstaub statt Rasen-Grün hat zweifelllos auch seinen Reiz. Im globalen Sport ist die TV-Abdeckung das A und das O. Der Fan im Stadion ist eh nur (noch) Staffage. Vgl. etwa die Klub-Weltmeisterschaft der FIFA in Saudi-Arabien, die auch in diesem Jahr kaum jemanden interessierte – und dennoch stattfand. Bei der Fülle von Wettbewerben und Turnieren, die im Rahmen der UEFA und der FIFA ausgetragen und permanent erweitert werden, ist eine zusätzliche Liga ausserhalb der etablierten Verbände durchaus ein Gedankenspiel wert.