Verstärkt bedrohte Sport-Integrität durch «Live»-Sportwetten

causasportnews / Nr. 1090/12/2023, 15. Dezember 2023

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(causasportnews / red. / 15. Dezember 2023) Seit 20 Jahren wird der Sport, vor allem der Fussball, durch einen geradezu ausufernden Sportwetten-Markt in seiner Integrität bedroht. 2005 löste der «Fall Hoyzer» in Deutschland vor der WM-Endrunde 2006 ein gewaltiges Erdbeben aus. Der labile Schiedsrichter Robert Hoyzer geriet in die Fängen der Sportwetten-Mafia und «verpfiff» gegen Geld und einen TV-Apparat diverse Fussballspiele, auf welche Sportwetten abgeschlossen wurden. Der Fussball-Weltverband reagierte nach diesem Manipulationsfall vor der WM-Endrunde umgehend und organisierte zur Wahrung der sportlichen Integrität aller WM-Endrundenspiele 2006 eine Überwachung der 64 Spiele mit Blick auf sog. Sportwetten-Manipulationen. Dazu wurde eigens eine Überwachungsgesellschaft, Early Warning System GmbH, gegründet. Präzisierend muss festgehalten werden, dass bei Manipulationen im Zusammenhang mit Sportwetten nicht die Wetten manipuliert werden, sondern der Sport. Manipulationen von Spielen im Zusammenhang mit Sportwetten sind zwar schwierig, sie kommen aber vor. Die Konstellation, dass ein WM-Finalspiel, das von Milliarden von Menschen am Fernsehen verfolgt wird, manipuliert wird, ist eher theoretischer Natur. Es kann diese Regel aufgestellt werden: Je mehr (mittelbare und unmittelbare) Zuschauer, desto sicherer ist der betreffende, sportliche Wettkampf vor Manipulationen – auch mit Blick auf Sportwetten.

Eine weit grössere Gefahr als konventionelle Sportwetten, bei denen etwa vor dem Spiel auf den Sieger Geld gesetzt wird, bilden die sog. «Live»-Wetten, die etwa während eines laufenden Spiels online platziert werden können. Die fortgeschrittene Digitalisierung macht’s jedenfalls möglich. Die Sport-Manipulationsgefahren bei Wettkämpfen, die nicht im Blickwinkel von TV-Kameras und weitgehend ohne grosse Publikums-Kulisse, also gleichsam unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, sind sehr gross. Nun scheint die entsprechende Gefährdung beispielsweise unbedeutender Fussballspiele noch grösser zu werden. Auf Regional-Spiele im Fussball in der Schweiz kann praktisch auf der ganzen Welt gewettet werden, wobei eben diese «Live»-Wetten ein besonders grosses Sport-Manipulationspotential in sich bergen. Dass neuerdings «Live»-Wetten im Amateurbereich angeboten werden, an denen Wett-Scouts am Spielfeldrand stehen und mit den Wettanbietern permanent in Kontakt stehen, lässt beim Schweizerischen Fussball-Verband die Alarmglocken läuten. In der Tat scheint so der Amateur-Sport in seiner Integrität massiv gefährdet. Die skrupellosen Sportwetten-Strippenzieher, die auch vor Sport-Manipulationen aller Art nicht zurückschrecken, sind natürlich im sog. schwarzen, illegalen, Sportwetten-Markt zu orten. Zugelassene Wettanbieter, die auch im online-Bereich aktiv werden dürfen, unterstehen meist strengen, staatlichen Kontrollen. Illegale Anbieter operieren hingegen in den Dunkelräumen des Internets.

Schätzungen von Experten zufolge werden jährlich weltweit 1700 Milliarden Dollar im illegalen, praktisch unkontrollierbaren Sportwetten-Markt umgesetzt. Unzählige Online-Plattformen mit oft nicht zu durchschauenden Eigentümer-Verhältnissen und an teils eher speziellen Orten (z.B. in Manila, auf Zypern, in Gibraltar, auf den Kanal-Inseln, auf Malta, in Asien) mischen in diesem lukrativen Geschäft mit. Die Sportverbände müssen hier nach Auffassung von Sachverständigen künftig wohl einiges mehr tun, um den Integritätsschutz vor allem auch im global gesehenen sportlich unbedeutenden, unspektakulären Amateur-Sport zu stärken. Allein mit Prävention kann dieser Gefahr kaum effizient begegnet werden. Die Mittel des repressiven Strafrechts, um diesen Auswüchsen zu begegnen, sind eher bescheiden – nicht nur beispielsweise in der Schweiz, in Österreich oder in Deutschland.

(Quelle: Sonntag – Zeitung, Zürich, 10. Dezember 2023)